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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 10.1930

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Heft 5
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Reimann, Hans: Dresden
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0441

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bis zum Kriege bei schlechtem Wetter in Funktion traten und noble Damen und
dito Herren in Uniform zu Hofe transportierten, erinnert nichts. Die jährlich
vom letzten Juli-Sonntag bis zum ersten August-Sonntag linkselbisch statt-
findende Vogelwiese (Messe, Dom, Oktoberfest) erinnert an die Zeiten, da die
Bogenschützen die einzigen Bewaffneten waren.
Der Zwinger, ursprünglich eine Art Festsaal unter freiem Himmel, 1709 von
Pöppelmann in Holz und nach erprobter Wirkung in benachbart wachsendem
Stein errichtet, wird pietätsam renoviert, Bauhütten verunglimpfen die peinlich
gestochenen Rokokobeete, verwitterte Figuren und Embleme werden original-
getreu in härterem Sandstein imitiert, das Morsche feiert antikisierte Auferstehung,
ohne daß dem Dionysischen des ehedem mit Ölfarbe bestrichenen Schmuckes
Abbruch getan würde. Am Nymphenbad, das mutmaßlich mehr dem Zuschauen
als dem Baden diente, verweilen wir flüchtig, atzen unsere Pupillen an der stil-
sicheren Überladenheit des Ballpavillons mit polnischer, an August den Starken
gemahnender Krone, jenen Monarchen, der als Oberhaupt eines rein protestan-
tischen Landes unter Assistenz seines Vetters, des nachmaligen Kardinals von
Sachsen, hintenherum katholisch wurde. Außerdem zieren ein Herkules mit
Weltkugel, Reichsadler und diverse im Solde der Dynastie pausbäckig herum-
trudelnde Putten das Gebäude von superlativistischer Barocke. Beglückt blickt
man hinab auf eine Treppe von aristokratischem Schnitt. Verwirrt blickt man
hinauf und stellt bei sämtlichen Ornamenten, und nicht nur denen der Wasserspiele,
das für ganz Dresden überaus charakteristische Tropfmotiv fest, das von Pöppel-
mann aufs Tapet gebracht, von seinen Schülern und Nachbetern plagiiert und in
romantisch überwucherten Kaskaden zum dernier cri wurde. Ein wenig abseits
träumt die Orangerie nebst einem Garten, dessen Gitter aus dem Jahre 1760
stammt und dem monarchischen Gedanken huldigt. Im Gewerbehaus erregte
sich Richard Wagner am Tannhäuser und unterschlug die Tatsache, daß Elisabeth
mit 21 Jahren in Marburg an der Auszehrung dahinsiechte. Der von Miesmuscheln
und Ölsardinen bevölkerte Teich am Marstall ist ein Rudiment des Stadtgrabens.
Der adrette, gedrungene, an den Flügeln gestutzte Bahnhof ist kein Bahnhof,
sondern das eigentlich anderswohin gehörende Schauspielhaus. Und auch das
Monument Friedrich Augusts des Gerechten stört im Zwingeridyll trotz der von
Rietschel modellierten Sockelfiguten. Gottfried Semper löste das Problem, die
Gemäldegalerie dem Gesamtbild harmonisch einzufügen. Sein Sohn baute die
Oper wieder auf, damit Richard Strauß einen guten Start habe. Klar stechen die
ziselierten Türme der Hofkirche in den Himmel, den Kokoschka mit südlicher
Bläue ausstaffierte. König Johann ist zum Denkmal geworden. Das Schloß,
ehedem markgräfliche Burg, im 16. Jahrhundert zum Renaissanceschloß um-
gemodelt, 1701 durch Feuersbrunst zerstört und 1889 bis 1891 durch König
Albert in deutscher Renaissance aufgefrischt, zeigt die höchste Erhebung in der
Silhouette der Türme. Das garstige Fernheizwerk wollen wir diskret im Hinter-
gründe liegen lassen. Chiaveri, der 1739 bis 1751 die Hofkirche samt ihren hundert
steinernen Heiligen schuf, brachte die fremdländischen Arbeiter in Baracken
längs des Stromes unter: daher das „italienische Dörfchen", das Hans Erlwein
als trefflichen Abschluß des Theaterplatzes hinsetzte. Karl Maria von Weber
besaß ein armseliges Häuschen an der Stelle, die jetzt seinem Gedenken gilt.

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