Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt
— 10.1930
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0456
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Heft 5
DOI article:Kaiser, Georg: Von Magdeburg nach Magdeburg: Lebensbericht am Mikrophon
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schaute um mich — und erblickte die Katastrophe einer Heimatstadt,
die nicht in phantastischer Gegend liegt, sondern Magdeburg ist und nur
einen Fluß Elbe hat, dem Kies entnommen wird, um diese kahle Stadt
unbedenklich weiter aufzubauen. Ich will aber, um gerecht zu sein, hinzufügen,
daß immer Heimatstädte reizlos sich ins Nichts verlieren, auch wenn sie mit allen
Wundern, die die Natur zu vergeben hat, beglückt sind. Man hat sie zu lange
und zu deutlich gesehen. Und hier erlebte ich jene exorbitante Reaktion, die ich
vorhin andeutete. Ich kaufte mir einen Globus und ließ die ganze Welt rotieren.
Wo ist es weit genug von hier, forschte ich. Wo leben die Antipoden. Wo geht
die Sonne auf, wenn sie hier untergeht. Wo ist alles anders als hier. Es soll so sein
wie es will — es soll nur nicht so sein, wie es hier seit meinen ersten zwanzig
Lebensjahren ist. Ich war mit keinem Beruf belastet -— ich war für kein Amt vor-
bereitet, also durfte ich mit eigenen Entschlüssen mich beschäftigen.
Da geschah der Aufbruch nach Südamerika. Viele Leute reisen — viele
Menschen bestehen waghalsige Abenteuer. Sie haben ihren Wert — und sie sind
höchst wertlos. Ich bin dazu gekommen, meinen damaligen Aufbruch aus Europa
einer Expedition nach dem Pol gleichzusetzen und solches Unternehmen noch
mit meinem Wagnis zu übertreffen. Denn ich brach nur auf und suchte nichts.
Das ist gewiß ein Start, der, da er das Unermeßliche vor sich hat, jeden Lauf über
absehbare Strecken lächerlich macht. Äußerlich sah die Sache ganz einfach aus.
Ich bestieg in Bremen einen billigen Dampfer — lernte an Bord spanisch — und
sah das Meer. Das Meer ist sehr groß, wenn man aus Magdeburg kommt. Es
verlor später an Umfang, als ich nach Magdeburg zurückkehrte. Vieles hatte da
an Umfang eingebüßt — aber Magdeburg, das nun ein Begriff ist, war nicht ge-
wachsen.
Ich saß an einem Abend, wenige Wochen nach meiner Ankunft in Buenos
Aires, in einem kleinen Restaurant am Hafen, das einem Schweizer gehörte.
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