Unruhe und Schrecken. In Galizien hatte der Aufruf des „Temporären Komitees"
der polnischen Partisanen mit österreichischer Orientierung Enthusiasmus her-
vorgerufen. Doch die galizischen Polen (wie auch Russen) unterlagen der Ein-
berufung ins reguläre Heer auf allgemeiner Grundlage. Aus Freiwilligen, die noch
nicht das Wehrpflichtalter erreicht hatten, wurden zwei Legionen gebildet. Erz-
herzog Friedrich ernannte Pilsudski zum Kommandeur der 1. Legion, und da er
nicht wußte, wie er Pilsudski titulieren sollte, — die medizinische Fakultät der
Charkower Universität verlieh keine militärische Titel — nannte der Erzherzog
in seinem Armeebefehl Pilsudski einfach „Herr"; wohl der einzige Fall in der
Geschichte der Armeebefehle.
An der Spitze seiner Abteilung rückte Pilsudski als erster in Kjelzy ein. Die
Polen schlugen sich hervorragend. Pilsudski war russischer Untertan, und für den
Fall seiner Gefangennahme erwartete ihn die Kugel, wenn nicht gar der Galgen.
In Kjelzy blieb er nicht lange. Die russische Mobilmachung war beendet, die
Österreicher zogen sich zurück. Beim Zusammenstoß der Millionenarmeen
konnten natürlich die Legionäre keinerlei wesentliche Bedeutung haben. Sie
leisteten Kundschafterdienste im Rücken der russischen Armee, wobei sie die
eingesammelten Nachrichten durch Vermittlung des deutschen Obersten Sauber-
zweig unmittelbar dem Generalobersten von Hindenburg zugehen ließen.
Welches politische Ziel hat Pilsudski damals verfolgt? Die Verehrer und
Bewunderer des Marschalls versichern, er hätte sich von Anbeginn vorgenommen,
den Mittelmächten bei der Zerschmetterung Rußlands zu helfen, in der festen
Überzeugung, daß nachher jene von Frankreich zerschmettert werden würden!
Mit diesem angeblichen Plan wäre er im Februar 1914 nach Paris gereist, um die
Führer der französischen Demokratie für seine Ziele zu interessieren. Diese Be-
hauptung kann man natürlich nicht ernst nehmen. Die Annahme, daß es hätte
gelingen können, im Februar 1914 die französischen Radikalen und Sozialisten
für die Idee des Weltkrieges zu gewinnen, diese Annahme hätte natürlich bloß
die politische Naivität Pilsudskis dokumentiert. Und was die schlaue Kombination
mit ihrem Matt in zwei Zügen betrifft, so lohnt es nicht, darüber noch weiter
ein Wort zu verlieren. Jedermann begreift, daß wer mit Rußland kämpfte, gleich-
zeitig auch mit Frankreich den Degen kreuzen mußte. Und wenn der Feldzug
vom Jahre 1914 mit der Vernichtung der russischen Kriegsmacht geendet hätte,
wäre natürlich die ganze Bundesgenossenschaft zusammengebrochen. Pilsudski
ist ein sehr kluger Mann, er konnte sich mit derartig phantastischen Plänen nie-
mals tragen.
Die Sache lag natürlich viel einfacher: wie viele andere kluge Leute, wie
Ferdinand von Bulgarien, wie Enver, wie Talaat hat der polnische Diktator im
Jahre 1914 einen falschen Einsatz gemacht. Völlig eingesponnen von der Idee der
Unbesiegbarkeit Deutschlands, war er überzeugt vom deutschen Siege über die
Verbündeten. Es ist sehr leicht möglich, daß Pilsudski die Deutschen selbst nicht
liebte; doch für ihn standen die Interessen Polens natürlich an erster Stelle. Seiner
Ansicht nach konnte der Sieg Deutschlands die Schaffung eines polnischen Reichs
unter dem Szepter der Habsburger bewirken, und daher hat er in voller Auf-
richtigkeit am 5. September 1914 Kaiser Franz Josef den Treueid geleistet.
Die Beziehungen Pilsudskis zur deutschen Obersten Heeresleitung waren nicht
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der polnischen Partisanen mit österreichischer Orientierung Enthusiasmus her-
vorgerufen. Doch die galizischen Polen (wie auch Russen) unterlagen der Ein-
berufung ins reguläre Heer auf allgemeiner Grundlage. Aus Freiwilligen, die noch
nicht das Wehrpflichtalter erreicht hatten, wurden zwei Legionen gebildet. Erz-
herzog Friedrich ernannte Pilsudski zum Kommandeur der 1. Legion, und da er
nicht wußte, wie er Pilsudski titulieren sollte, — die medizinische Fakultät der
Charkower Universität verlieh keine militärische Titel — nannte der Erzherzog
in seinem Armeebefehl Pilsudski einfach „Herr"; wohl der einzige Fall in der
Geschichte der Armeebefehle.
An der Spitze seiner Abteilung rückte Pilsudski als erster in Kjelzy ein. Die
Polen schlugen sich hervorragend. Pilsudski war russischer Untertan, und für den
Fall seiner Gefangennahme erwartete ihn die Kugel, wenn nicht gar der Galgen.
In Kjelzy blieb er nicht lange. Die russische Mobilmachung war beendet, die
Österreicher zogen sich zurück. Beim Zusammenstoß der Millionenarmeen
konnten natürlich die Legionäre keinerlei wesentliche Bedeutung haben. Sie
leisteten Kundschafterdienste im Rücken der russischen Armee, wobei sie die
eingesammelten Nachrichten durch Vermittlung des deutschen Obersten Sauber-
zweig unmittelbar dem Generalobersten von Hindenburg zugehen ließen.
Welches politische Ziel hat Pilsudski damals verfolgt? Die Verehrer und
Bewunderer des Marschalls versichern, er hätte sich von Anbeginn vorgenommen,
den Mittelmächten bei der Zerschmetterung Rußlands zu helfen, in der festen
Überzeugung, daß nachher jene von Frankreich zerschmettert werden würden!
Mit diesem angeblichen Plan wäre er im Februar 1914 nach Paris gereist, um die
Führer der französischen Demokratie für seine Ziele zu interessieren. Diese Be-
hauptung kann man natürlich nicht ernst nehmen. Die Annahme, daß es hätte
gelingen können, im Februar 1914 die französischen Radikalen und Sozialisten
für die Idee des Weltkrieges zu gewinnen, diese Annahme hätte natürlich bloß
die politische Naivität Pilsudskis dokumentiert. Und was die schlaue Kombination
mit ihrem Matt in zwei Zügen betrifft, so lohnt es nicht, darüber noch weiter
ein Wort zu verlieren. Jedermann begreift, daß wer mit Rußland kämpfte, gleich-
zeitig auch mit Frankreich den Degen kreuzen mußte. Und wenn der Feldzug
vom Jahre 1914 mit der Vernichtung der russischen Kriegsmacht geendet hätte,
wäre natürlich die ganze Bundesgenossenschaft zusammengebrochen. Pilsudski
ist ein sehr kluger Mann, er konnte sich mit derartig phantastischen Plänen nie-
mals tragen.
Die Sache lag natürlich viel einfacher: wie viele andere kluge Leute, wie
Ferdinand von Bulgarien, wie Enver, wie Talaat hat der polnische Diktator im
Jahre 1914 einen falschen Einsatz gemacht. Völlig eingesponnen von der Idee der
Unbesiegbarkeit Deutschlands, war er überzeugt vom deutschen Siege über die
Verbündeten. Es ist sehr leicht möglich, daß Pilsudski die Deutschen selbst nicht
liebte; doch für ihn standen die Interessen Polens natürlich an erster Stelle. Seiner
Ansicht nach konnte der Sieg Deutschlands die Schaffung eines polnischen Reichs
unter dem Szepter der Habsburger bewirken, und daher hat er in voller Auf-
richtigkeit am 5. September 1914 Kaiser Franz Josef den Treueid geleistet.
Die Beziehungen Pilsudskis zur deutschen Obersten Heeresleitung waren nicht
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