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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 10.1930

DOI issue:
Heft 7
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Bontempelli, Massimo: Die Frau mit den gefärbten Haaren: ein kleiner Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0716

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bindet so ideell durch ihre Bewegung die Ecke, in der meine italienischen
Klassiker stehen, mit der gegenüberliegenden, wo sich mein Patent-Sägespäne-
Ofen befindet).
Ich (um die Zeit auszufüllen, während ich ihr mit den Augen folge, suche
eine philosophische Deutung jener unerwarteten Verbindung meiner italienischen
Klassiker mit einem Gerät, in dem Sägespäne verbrannt werden.)
Sie (bleibt entschlossen vor mir stehen): Ich bin gekommen, um Sie um
Ihre Hilfe zu bitten.
Ich: Hilfe?
Sie (dumpf): Ja. Sie müssen diese Frau auffinden.
Ich (idiotisch): Diese Frau?
Sie : Ja, die Frau, der die fünf Haare gehören. (Sie ballt sie in der Faust zu-
sammen und hebt sie gegen die Decke). Diese fünf Haare werden uns helfen,
sie zu entdecken.
Ich: Es sind zu wenige.
Sie: Wenige? Wenige? Verlangen Sie vielleicht, daß diese Dirne alle ihre
Haare auf der Brust meines Mannes zurückläßt?
Ich: Nicht das meine ich. Aber fünf Haare genügen nicht, um einem ein
klares Bild von den Haaren eines Menschen zu geben...
Sie: Aber sie genügen nach meiner Meinung vollkommen. Sehen Sie doch
die Farbe: kastanienbraun, abscheulich gefärbt, mit Henna natürlich! Sehen Sie
es? Sehen Sie die Farbe? Es ist Henna schlechtester Qualität! Verstehen Sie?
Ich (nachgiebig): Gewiß.
Sie : Aber diese ekelhaften Haare sind ein wertvoller Anhaltspunkt, und wissen
Sie, warum? Nein, ich werde es Ihnen sagen. Wenn dieser lieben Dame die Haare
derart ausfallen, das heißt büschelweise, geradezu in Massen dann, ist das ein
un-trüg-licher Beweis dafür, daß diese Dame vor kurzem die spanische Grippe
gehabt hat.
Ich (erstaunt): Das ist wahr!
Sie: Sie, der Sie ein Freund meines Gatten sind und seine Gewohnheiten
kennen, müssen eine Frau ausfindig machen, die er in diesen Tagen gesehen
hat, die kastanienbraune, mit Henna gefärbte Haare hat, und die erst vor kurzem
die spanische Grippe gehabt hat. (Sie wartet auf eine Antwort.)
Ich (nach einer Pause): Und wenn ich sie auffinde...?
Sie: Darum kümmern Sie sich nicht! Dann werde ich schon wissen, was ich
mit ihm und mit ihr anfangen werde!
Ich: Um Gottes willen, Frau Marta, seien Sie nicht so grausam! Denken Sie
doch, daß diese Frau sicher noch an den Folgen dieser schweren Krankheit
leidet, und daß sie vielleicht nur mit Mühe dem Tode entgangen ist... (Ich
breche ab, denn ich bemerke, daß ich etwas geradezu unwahrscheinlich Blöd-
sinniges gesagt habe.)
Sie: Sprechen Sie keine Dummheiten, sondern sagen Sie mir offen und
ehrlich: Wollen Sie mir bei diesem Werk der Gerechtigkeit helfen?
Ich (der ich niemals nein sagen kann -— - glücklicherweise bin ich nicht als
Frau geboren —): Wenn es Sie beruhigt — so kann ich — versuchen . . . (Pause.)
Sie (fällt auf den Diwan): Jetzt fühle ich mich schon weniger unglücklich!

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