Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt
— 10.1930
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Heft 9
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gerufen, verschwinden wird. Selbstverständlich werden auch bei O2 regelmäßige
Fasttage eingesetzt. Aber, wie gesagt, das Genauere erfahren Sie erst das
nächste Mal.
Patient: Also auf Wiedersehen dann, Herr Doktor. Wie gefiel es Ihnen
übrigens gestern bei dem Abendwasser des Bankiers Voran?
Arzt: Ausgezeichnet. Der Mann hat wirklich Geschmack. Daß man für
die Feste durch Knopfdruck die Tagesmöbel mit den Abendmöbeln wechselt, ist ja
Gott sei Dank jetzt allgemein üblich. Das Glasmilieu stand unseren Damen zu
schlecht zur großen Toilette. Aber nicht jeder hat so elegante Abendmöbel:
Diese Plüschsessel mit Quasten, diese Portierendraperien, diese Nippessachen,
diese Makartbuketts!
Patient: Und nicht zu vergessen: Diese Hellebarden an den Gardinen statt
der langweiligen Messingstangen! (Geht ab.)
Attilas Vermächtnis. Der Lift hebt mich in ein besseres Zeitalter. Drei
Boys reißen eine opalgefaßte, spiegelglaspolierte, mattebenholzglänzende, pneu-
matisch-drehbare Tür vor mir auf, und mein Schritt versinkt klaftertief wollüstig
in Teppichen, was nach Auffassung der Gerichtspsychiater eine doppelseitige Ge-
schlechtsumkehrung zur Folge haben kann.
In diesem Vorraum hat ein sanftmütiger Innenarchitekt seine Seele an die
Wand gehaucht. Perlengrauer Samt, samtgrauer Stahl, stahlgraue Perlen
— künstlerische Perversionen. Das Licht leuchtet — nein, es leuchtet nicht, es
kommt — von hintenherum. Sogar die Hosenknöpfe der Boys sind auf die
Umgebung abgestimmt, sie sind haifischgrau — von rückwärts beleuchtet. Wieder
ein Riesenerfolg Reinhardtscher Schaufensterdekorationskurse. — Seitwärts Ka-
binen, durch schrägbrechendes Glas ahnt man Orange der Wände. Kathedrale
der Haarkunst. Eine Krankenschwester nestelt an mir, sie entfernt Kragen und
eventuell anschließendes Vorhemd. Weiche Männerhände, duftend nach
Houbigant, drücken den Widerstrebenden auf den marmorgefederten Operations-
stuhl. Haarschneidemaschinen laufen gleich Kranen unsichtbar über die Decke.
Zephir streicht linde über Backe und Kopfhaut, und aus Seifenabflußrohren küßt
ohne Nebengeräusch Richard Tauber Madame die Hand. „In meinem Hause ist
Fortschritt und gediegene Vornehmheit harmonisch vereinigt." Kultur — Ehren-
sache!
Bis mein Nachbar sich erhebt... Kugelgelagerte Marderfellbürste reinigt
eben den Rockkragen von garantiert keimfreiem Schuppenfall. Da steht er: links
kahl geschoren, rechts kahl geschoren, der ganze Kopf steppenkahl geschoren, nur
vorne der rudimentäre Mongolenschopf. (Und Attila sprach, als er die auf-
ständischen Berliner wieder botmäßig gemacht hatte: „Ich will euch das Leben
schenken, doch damit euch alle Welt erkennt, bestaunt und belächelt, sollt ihr,
eure Kinder und Kindeskinder, jene Frisur tragen, die ich euch schneiden lasse.")
In Krolwovalesko, Mazedonien, drei Stunden von der nächsten Poststation,
vier Tagereise von der Bahn entfernt, besuche ich einen Friseur. An der Decke
des Ladens hängt ein Fliegenfänger für die Wanzen, Melkschemel und Schaf-
schurschere das Inventar. In diesem Laden also ließ ich mir die Haare schneiden.
Ich sprach kein Wort, der Barbier sprach kein Wort — und als ich fertig war,
sah ich so aus, daß ich in Paris oder in New York oder sonstwo die Tochter des
Präsidenten zur Hochzeitstafel hätte führen können. Kultur — Nebensache!
Fritz Würthle.
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Fasttage eingesetzt. Aber, wie gesagt, das Genauere erfahren Sie erst das
nächste Mal.
Patient: Also auf Wiedersehen dann, Herr Doktor. Wie gefiel es Ihnen
übrigens gestern bei dem Abendwasser des Bankiers Voran?
Arzt: Ausgezeichnet. Der Mann hat wirklich Geschmack. Daß man für
die Feste durch Knopfdruck die Tagesmöbel mit den Abendmöbeln wechselt, ist ja
Gott sei Dank jetzt allgemein üblich. Das Glasmilieu stand unseren Damen zu
schlecht zur großen Toilette. Aber nicht jeder hat so elegante Abendmöbel:
Diese Plüschsessel mit Quasten, diese Portierendraperien, diese Nippessachen,
diese Makartbuketts!
Patient: Und nicht zu vergessen: Diese Hellebarden an den Gardinen statt
der langweiligen Messingstangen! (Geht ab.)
Attilas Vermächtnis. Der Lift hebt mich in ein besseres Zeitalter. Drei
Boys reißen eine opalgefaßte, spiegelglaspolierte, mattebenholzglänzende, pneu-
matisch-drehbare Tür vor mir auf, und mein Schritt versinkt klaftertief wollüstig
in Teppichen, was nach Auffassung der Gerichtspsychiater eine doppelseitige Ge-
schlechtsumkehrung zur Folge haben kann.
In diesem Vorraum hat ein sanftmütiger Innenarchitekt seine Seele an die
Wand gehaucht. Perlengrauer Samt, samtgrauer Stahl, stahlgraue Perlen
— künstlerische Perversionen. Das Licht leuchtet — nein, es leuchtet nicht, es
kommt — von hintenherum. Sogar die Hosenknöpfe der Boys sind auf die
Umgebung abgestimmt, sie sind haifischgrau — von rückwärts beleuchtet. Wieder
ein Riesenerfolg Reinhardtscher Schaufensterdekorationskurse. — Seitwärts Ka-
binen, durch schrägbrechendes Glas ahnt man Orange der Wände. Kathedrale
der Haarkunst. Eine Krankenschwester nestelt an mir, sie entfernt Kragen und
eventuell anschließendes Vorhemd. Weiche Männerhände, duftend nach
Houbigant, drücken den Widerstrebenden auf den marmorgefederten Operations-
stuhl. Haarschneidemaschinen laufen gleich Kranen unsichtbar über die Decke.
Zephir streicht linde über Backe und Kopfhaut, und aus Seifenabflußrohren küßt
ohne Nebengeräusch Richard Tauber Madame die Hand. „In meinem Hause ist
Fortschritt und gediegene Vornehmheit harmonisch vereinigt." Kultur — Ehren-
sache!
Bis mein Nachbar sich erhebt... Kugelgelagerte Marderfellbürste reinigt
eben den Rockkragen von garantiert keimfreiem Schuppenfall. Da steht er: links
kahl geschoren, rechts kahl geschoren, der ganze Kopf steppenkahl geschoren, nur
vorne der rudimentäre Mongolenschopf. (Und Attila sprach, als er die auf-
ständischen Berliner wieder botmäßig gemacht hatte: „Ich will euch das Leben
schenken, doch damit euch alle Welt erkennt, bestaunt und belächelt, sollt ihr,
eure Kinder und Kindeskinder, jene Frisur tragen, die ich euch schneiden lasse.")
In Krolwovalesko, Mazedonien, drei Stunden von der nächsten Poststation,
vier Tagereise von der Bahn entfernt, besuche ich einen Friseur. An der Decke
des Ladens hängt ein Fliegenfänger für die Wanzen, Melkschemel und Schaf-
schurschere das Inventar. In diesem Laden also ließ ich mir die Haare schneiden.
Ich sprach kein Wort, der Barbier sprach kein Wort — und als ich fertig war,
sah ich so aus, daß ich in Paris oder in New York oder sonstwo die Tochter des
Präsidenten zur Hochzeitstafel hätte führen können. Kultur — Nebensache!
Fritz Würthle.
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