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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 10.1930

DOI issue:
Heft 4
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Krenek, Ernst: "Banalitäten"
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https://doi.org/10.11588/diglit.73550#0367

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Peter Anton Gekle „Das Gebet einer Jungfrau"

„BANALITÄTEN"
Von
ERNST KRENEK
einen letzten Arbeiten wird häufig der Vorwurf der Banalität gemacht.
Wir wollen sehen, was es damit auf sich hat. Auf neue Erscheinungen der
Kunst reagieren die Menschen meist entweder so, daß sie über die Ungewöhn-
lichkeit empört sind, wenn sie das neue Werk nicht in eine wohlbekannte
Schublade einrangieren können, oder sie finden, es sei gar nichts Besonderes
daran, alles schon dagewesen, mit einem Wort: banal.
Nun liegt es in der Musik so, daß wir in den vergangenen zehn bis fünfzehn
Jahren eine formidable Inflation von Wirkungen im musikalischen Material
erlebt haben. Wie von Fachleuten an den verschiedensten Stellen zur Genüge
dargetan ist, wurde das harmonische Material, also die Gesamtheit der Zusammen-
klänge, seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer mehr „zersetzt",
wie man sagt, das heißt: durch Nuancen bereichert. Nun ist es klar: je mehr Nuan-
cen, desto feiner und geringer die Unterschiede zwischen ihnen, je kleiner die
Differenzen, desto schwächer die Wirkungen. Insbesondere durch Schönbergs
Arbeiten ist dieses Prinzip bis zur letzten Konsequenz zu Ende gedacht worden.
Es gibt nichts mehr, was „verboten" wäre, im Sinne alter musikalischer Kon-
vention. Jeden Augenblick kann in einem Musikstück ohne weitere Vorbereitung
alles Erdenkliche eintreten. Gewiß muß das natürlich immer seine logische
Begründung haben, aber die Zahl der Wirkungen ist theoretisch unbegrenzt,
was praktisch beinahe darauf hinausläuft, daß es überhaupt keine Wirkungen
mehr gibt. Diese Richtung auf immer weitergehende Differenzierung des Materials
durch endlose Vermehrung seiner Bestandteile hat tatsächlich etwas von geistiger
Inflation an sich. Man denke an die Bestrebungen des Viertel-, Sechstel- und
Zwölfteltonsystems, die nur eine ganz natürliche Fortsetzung des angedeuteten
Weges sind. Er findet sein praktisches Ende beim Thereminschen Instrument

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