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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Schwoner, Alfred: "Wirtschaftsführer": Revision eines Begriffs
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0027

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Die Krise hat in Deutschland mehr Wirtschaftsskandale aufgedeckt als in
anderen Ländern, teils aus den angeführten Gründen, teils weil die Inflations-
moral, die sich jetzt zeigt, nicht mit der Inflation zugleich verschwunden ist.
Favag-, Nordwolle- und Schultheiß-Affäre sowie die vielen kleineren Bank- und
Genossenschaftsskandale — der Sklarek-Prozeß hat weniger mit der Unternehmer-
als mit der Beamten- und Parteien-Moral zu tun — zeigen alle die gehäuften Wir-
kungen der Kontrollosigkeit und des Inflationsgeistes. Doch sind die Sünden der
Vorkriegspatrizier und der Vorkriegskapazitäten, wie Lahusens und der Favag-
Direktoren, größer als die der erst durch den Umsturz in die Höhe Gehobenen.
Der schlimmste Fall ist der der Favag. Es war nicht leicht, eine Gesellschaft von
so fundiertem Unterbau und solcher Krisenfestigkeit zu ruinieren, aber der
„Autorität" Dumckes gelang es. Er und sein Stab ließen sich in alle Geschäfte
ein, sie mochten der Sphäre einer Versicherungsgesellschaft noch so fern liegen,
wenn sich dabei nur persönlich etwas verdienen ließ. Sie verfuhren dabei nach
dem bekannten Grundsatz: „Die guten ins Kröpfchen, die schlechten ins Töpf-
chen" (d. h. die guten Geschäfte für eigene Rechnung, die schlechten für die
Gesellschaft) und bewilligten sich gegenseitig Sondervergütungen für die schlech-
ten Geschäfte, die sie auf die Gesellschaft abschoben. Die Verwaltung der Favag
war gradezu eine Schule der Korruption. Man animierte die jüngeren Direktoren
bald nach ihrer Ernennung, sich Villen zu kaufen und luxuriös einzurichten;
ihre Einnahmen würden sich schon so erhöhen, daß sie sich diesen Luxus leisten
könnten; folgten sie diesem Rat, so waren sie dann auf diese „irregulären" Ein-
nahmen angewiesen.
Dabei ist die deutsche Justiz in geschäftlichen Angelegenheiten noch immer
sehr nachsichtig, verglichen mit dem Beispiel des englischen Gerichts, das Lord
Kylsant, einen zweifellosen Gentleman, zu einjähriger Zuchthausstrafe verurteilte,
bloß weil er in einem Prospekt nicht alles mitteilte, was zur Beurteilung der
Situation seiner Gesellschaft nötig gewesen wäre. Freilich erscheint unserem
Empfinden ein solches exempel-statuierendes Urteil übertrieben und im gewissen
Sinne ungerecht. Aber es muß zugegeben werden, daß unsere Gerichtsverfassung
in bezug auf die Behandlung komplizierter wirtschaftlicher Korruptionsfälle ver-
besserungsfähig ist und daß wir von England lernen sollten, solche Fälle schlag-
artig und eindringlich zu erledigen, statt zwei oder drei Jahre hinter den Er-
eignissen nachzuhinken. Freilich kann ein solcher Fortschritt nicht durch
Regierungsverordnung herbeigeführt werden, sondern er müßte durch eine
Veränderung in der Stellung des Richters gesetzlich verankert werden.
Diese Ausnahmefälle beweisen nichts gegen das deutsche Unternehmertum,
aber sie lassen doch die Gefahren erkennen, die aus der übersteigerten Idee des
wirtschaftlichen Führertums, insbesondere aus der Kontrollosigkeit, erwachsen.
Im übrigen ist es natürlich unvermeidlich, daß die Schätzung der Unternehmer-
Tätigkeit in Zeiten der Krise nicht ganz so hoch ist wie in den Jahren des Erfolges.
Fast alle haben es, wie man jetzt findet, an der erforderlichen Voraussicht fehlen
lassen. Auch die Unternehmer, nicht nur die öffentlichen Korporationen haben viel-
fach Investitionen mit kurzfristigen Krediten finanziert. Sie haben nach amerika-
nischem Muster „rationalisiert", einerseits um Löhne zu ersparen, andererseit
aus Freude an der technischen Vervollkommnung, aber sie haben dabei nicht,

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