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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Aldanov, Mark A.: England und Engländer heute
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0150

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lichsten waren vielleicht die „konkreten Vorschläge" des Redners. Im ersten Teil
seiner Rede bewies er seinen Zuhörern, daß die Arbeiterregierung in zwei Jahren
England zugrunde gerichtet habe; im zweiten forderte er energisch die Wähler auf,
für MacDonald zu stimmen, d. h. für einen Menschen, der diese zwei Jahre an der
Spitze eben dieser Arbeiter-Regierung stand. Es schien mir zuerst, daß Churchill
sich entweder über MacDonald oder über seine Zuhörer lustig machte. Er hätte
doch einfach von der Nationalen Regierung sprechen können, ohne einen Namen
zu nennen. Er hätte, schlimmstenfalls, MacDonald und Snowden, als reuige
Sünder, verschlucken können. Aber seine Rede war ganz anders aufgebaut. Es
kam so heraus, daß die ganzen zwei Jahre der garstige Henderson über England
regiert habe — MacDonald und Snowden wären hier aber ganz unbeteiligt ge-
wesen; von ihnen sei Churchill ganz begeistert. Dabei strahlten seine Augen voll
aufrichtigster Überzeugung.
Ein Demagoge? Ich weiß nicht, was ein Demagoge ist: es ist schwer, den
exakten Sinn dieses Begriffs zu bestimmen. Wenn aber ein „Demagoge", so doch
ein selten aufrichtiger. Churchill ging sein Leben lang aus einem Lager in das
andere über und war stets tief von seiner Gerechtigkeit überzeugt. So auch der
Herzog Marlborough, sein berühmter Vorfahr. Mirabeau sagte von Robespierre:
„Dieser Mensch ist sehr gefährlich: er glaubt wirklicli an alles, was er sagt."
Der zynische Ausspruch des französischen Revolutionärs paßt ganz besonders gut
auf Churchill, den am wenigsten zynischen aller Menschen. In diesem alten, er-
probten Politiker, im glänzenden Redner und begabten Schriftsteller steckt auch
ein harmloser Leser der Daily Mail. In einem Aufsatz dieser Zeitung forderte er
unlängst MacDonald, Baldwin und Lloyd George auf, sich zusammenzutun, sich
zu überlegen und eine Entscheidung zu treffen, was mit England zu geschehen
habe. „Nur sie drei sind von allen jetzt lebenden Engländern Ministerpräsidenten
gewesen. Sie mögen auch beschließen, was wir tun sollen. Wir alle werden ge-
horchen", schrieb Churchill. Zugegeben: MacDonald ist ein bedeutender Mensch,
Baldwin ebenfalls, und trotzdem, warum denn ein solcher Gehorsam? In Frank-
reich würde es keinem Politiker (auch von geringerem Rang wie Churchill) in den
Kopf kommen, den Herren Steeg, Francois, Marsal oder Chautemps zu ge-
horchen oder zum Gehorsam ihnen gegenüber aufzufordern, mit der Begrün-
dung, daß sie einst den Posten eines Ministerpräsidenten bekleidet haben.
Nein, es wird keinen Diktator Churchill geben.
*
Eine andere Versammlung, nicht in Ilford, sondern in London. Sie wird von
Lord Beaverbrook veranstaltet.
Wer regiert England? Natürlich das frei gewählte Parlament. Aber in einem
gewissen Sinne — etwa in dem Sinne, wie der Zar Nikolaus I. von Rußland sagte,
daß es von dreißigtausend Bürovorstehern regiert würde — kann man sagen, daß
England von drei Menschen regiert wird: Lord Rothermere, Lord Beaverbrook
und Sir William Berry. Ihnen gehören drei kolossale Zeitungstruste. Außerhalb

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