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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Polgar, Alfred: Krise und Privatleben
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Fleißer, Marieluise: Krise und Privatleben
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0197

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wart um Grade heller, daß alles rings-
um schwer wurde, stellt ein relatives
Gleichgewicht her, und die Mühe, sich
dem Dasein anzupassen, wie es heute
ist, gibt qualvollem Erinnern an das
Dasein, wie es einstens war, keinen
Raum. Der Miseren sind so zahlreiche,
daß wir eine über die andere vergessen.
Ein wahres Glück, diese Fülle von
Sorgen! Jede einzelne würde uns zer-
schmettern, alle mitsammen stützen
sich wechselseitig, bilden, gegenein-
ander gespreizt, eine Art Dach. (Letzte
Chance bei Haus- und Welteinstürzen.)

erhält, um ein Vierteljahr ihre Woh-
nungsmiete zahlen zu können. Es ist
kein Zufall, wenn ein Lyriker, dessen
Gedichte die großen Zeitungen drucken,
keinen Verleger findet und seine über-
flüssigen Verse an private Gönner gegen
Wurst und Wein aushökern muß. Es
ist kein Zufall, wenn der Präsident
einer charitativen Vereinigung der ur-
alten Dichterwitwe, die bettelarm ist,
weil sie mit ihren Ersparnissen dem
Gatten das Schaffen ermöglichte, mit
Repressalien droht, weil er glaubt, daß
sie nicht ihre geschilderte Not litte, da


Vorteile der Krise für das
Privatleben:
Die persönlichen Gründe
zur schlechten Laune lassen
sich mühelos hinter den all-
gemeinen verstecken.
Liebe (der einzige Dienst,
den das Individuum dem In-
dividuum leisten kann, ohne
an seine oder dessen heiligste
Güter, das Geld, zu rühren),
alte Kleider und die Klassiker
kommen zu Ehren.
Der Egoismus entledigt
sich seiner Verschleierungen.
Man trägt ihn heute nackt.
Hierdurch wird der Verkehr
mit dem Nebenmenschen um
vieles einfacher und sauberer.
Das Falsche und Brüchige
vieler sogenannter Lebens-
freuden wird offenbar. Es
zeigt sich in den meisten
Fällen, daß Vergnügen kein
Vergnügen ist.

Hebung der Moral: Der Mensch,
weil er aus Mangel an Mitteln nirgend-
wo anders hingehen kann, geht in sich.
Bridgespielen erscheint sittlich ge-
rechtfertigt.

Von Stufe zu Stufe
„Früher wußten sie noch
meinen Namen —
jetzt sagen sie mir schon
,Direktor'..."

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