wie der Kontrolle durch das Volk vor, außerdem das Frauenstimmrecht, die Ver-
hältniswahl und eine Art von Wirtschaftsrat — lauter Einrichtungen, die
Frankreich nicht besitzt. — Ob Frankreich überhaupt weiß, daß sein östlicher
Nachbar ihm an Demokratie über ist? Es ahnt wohl auch nicht, daß eine Mon-
archie, die dänische, als erstes Land gänzlich abgerüstet hat.
Aber Deutscliland ist noch in wichtigeren, weil allgemeineren Beziehungen
voraus und bildet damit die Zukunft ab. In Deutschlands heutiger Lage werden
über kurz oder lang die meisten Länder sein, denn die Welt bewegt sich eben in
dieser Richtung. Nur, was wieder die politischen Realitäten betrifft, ist Frankreich
ihm ebensowohl voraus wie zurück. Sehen wir uns diese ein wenig an. Zunächst
sei festgestellt, daß Deutschlands Rückständigkeit hierin die Folge des verlorenen
Krieges ist.
Die deutsche Demokratie ist ganz jung, und die deutsche Republik noch
jünger, die Erinnerungen an die Monarchie hier also viel frischer, lebendiger als in
Frankreich. Man darf darum dem Land seine Monarchisten (übrigens nur einen
auf zehn Republikaner !) nicht vorwerfen, vor allem nicht, in grober Unkenntnis
der Tatsachen, das republikanische Frankreich als Beispiel vorhalten; denn
Frankreich hat seine Republik seit sechzig Jahren. Vergleichen dürfte man nur
das Frankreich der Niederlage von 1871 und das Deutschland der Niederlage von
1918. Außerdem ist zu bedenken, daß die republikanische Idee, von dem kurzen
Zwischenspiel des Jahres 1848 abgesehen, in Deutschland ebenso neu war, wie
ihre Verwirklichung ganz unerwartet kam; Frankreich aber nahm 1871 schon die
dritte Republik an, und die erste war altes Vorbild auch für das Ausland. Diese
Nachkriegszeit zeigt trotzdem in beiden Ländern überraschende Analogien: Nach
dem ersten Umsturz — damals politisch, heute sozial — behandeln die Sozial-
demokraten Ebert und Noske Spartakus nicht anders als der Republikaner Thiers
seinerzeit die Communards! Darauf folgt, in Frankreich wie in Deutschland, die
nationale Reaktion: die Republik gesellt sich in der Vorstellung der Massen
zu den Erfahrungen der Niederlage und der Wirtschaftsnot, und nun wird als
zweiter Präsident ein Feldmarschall gewählt, Mac-Mahon hier, Hindenburg dort.
Doch „macht" Mac-Mahon immerhin seinen Staatsstreich, und Hindenburg hilft
ihn verhindern. Es ist die Zeit des Flaggenstreites. Ihr folgt eine dritte Epoche der
Scharung um die Mitte und Zertrümmerung der radikalen Flügel: die Tage des
Franzosen Jules Grevy, des Deutschen Stresemann (dem ersteren übrigens weit
überlegen, der Wiederhersteller des Besiegtenansehens, eine Art deutschen Talley-
rands, aber eines loyalen Charakters dazu). Es folgen die beiden Krisen mit dem
Wiederanstieg der Radikalen, Boulangers wie Hitlers; so sehr unterschieden die
beiden an Art und Dogma sind. Bei allem verschwinden die Monarchisten in der
jungen deutschen Republik schneller als die französischen in dem Lande der
damals schon so bedeutenden republikanischen Tradition!
Hingegen muß man allerdings noch ein Element in die Betrachtung ziehen, das
1871 nicht vorhanden war und das den Vergleich fast unmöglich macht: den
Faschismus mit dem italienischen Vorbild und der zumindest europäisch-all-
gemeinen Geringschätzung der rein politischen Demokratie, sonderlich des
Parlamentarismus. Es herrscht also heute in ganz Europa eine Welle der Diktatur,
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hältniswahl und eine Art von Wirtschaftsrat — lauter Einrichtungen, die
Frankreich nicht besitzt. — Ob Frankreich überhaupt weiß, daß sein östlicher
Nachbar ihm an Demokratie über ist? Es ahnt wohl auch nicht, daß eine Mon-
archie, die dänische, als erstes Land gänzlich abgerüstet hat.
Aber Deutscliland ist noch in wichtigeren, weil allgemeineren Beziehungen
voraus und bildet damit die Zukunft ab. In Deutschlands heutiger Lage werden
über kurz oder lang die meisten Länder sein, denn die Welt bewegt sich eben in
dieser Richtung. Nur, was wieder die politischen Realitäten betrifft, ist Frankreich
ihm ebensowohl voraus wie zurück. Sehen wir uns diese ein wenig an. Zunächst
sei festgestellt, daß Deutschlands Rückständigkeit hierin die Folge des verlorenen
Krieges ist.
Die deutsche Demokratie ist ganz jung, und die deutsche Republik noch
jünger, die Erinnerungen an die Monarchie hier also viel frischer, lebendiger als in
Frankreich. Man darf darum dem Land seine Monarchisten (übrigens nur einen
auf zehn Republikaner !) nicht vorwerfen, vor allem nicht, in grober Unkenntnis
der Tatsachen, das republikanische Frankreich als Beispiel vorhalten; denn
Frankreich hat seine Republik seit sechzig Jahren. Vergleichen dürfte man nur
das Frankreich der Niederlage von 1871 und das Deutschland der Niederlage von
1918. Außerdem ist zu bedenken, daß die republikanische Idee, von dem kurzen
Zwischenspiel des Jahres 1848 abgesehen, in Deutschland ebenso neu war, wie
ihre Verwirklichung ganz unerwartet kam; Frankreich aber nahm 1871 schon die
dritte Republik an, und die erste war altes Vorbild auch für das Ausland. Diese
Nachkriegszeit zeigt trotzdem in beiden Ländern überraschende Analogien: Nach
dem ersten Umsturz — damals politisch, heute sozial — behandeln die Sozial-
demokraten Ebert und Noske Spartakus nicht anders als der Republikaner Thiers
seinerzeit die Communards! Darauf folgt, in Frankreich wie in Deutschland, die
nationale Reaktion: die Republik gesellt sich in der Vorstellung der Massen
zu den Erfahrungen der Niederlage und der Wirtschaftsnot, und nun wird als
zweiter Präsident ein Feldmarschall gewählt, Mac-Mahon hier, Hindenburg dort.
Doch „macht" Mac-Mahon immerhin seinen Staatsstreich, und Hindenburg hilft
ihn verhindern. Es ist die Zeit des Flaggenstreites. Ihr folgt eine dritte Epoche der
Scharung um die Mitte und Zertrümmerung der radikalen Flügel: die Tage des
Franzosen Jules Grevy, des Deutschen Stresemann (dem ersteren übrigens weit
überlegen, der Wiederhersteller des Besiegtenansehens, eine Art deutschen Talley-
rands, aber eines loyalen Charakters dazu). Es folgen die beiden Krisen mit dem
Wiederanstieg der Radikalen, Boulangers wie Hitlers; so sehr unterschieden die
beiden an Art und Dogma sind. Bei allem verschwinden die Monarchisten in der
jungen deutschen Republik schneller als die französischen in dem Lande der
damals schon so bedeutenden republikanischen Tradition!
Hingegen muß man allerdings noch ein Element in die Betrachtung ziehen, das
1871 nicht vorhanden war und das den Vergleich fast unmöglich macht: den
Faschismus mit dem italienischen Vorbild und der zumindest europäisch-all-
gemeinen Geringschätzung der rein politischen Demokratie, sonderlich des
Parlamentarismus. Es herrscht also heute in ganz Europa eine Welle der Diktatur,
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