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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Fargue, Léon-Paul: Aus der Droschken-Zeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0274

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Diese Droschken, denen man hie und da noch begegnet, sehen wie verirrte
Insekten aus, versprengt von ihrem Stamm, ohne Hoffnung auf Rückkehr, sie
suchen Abenteuer und tragen, ohne Ruhe zu finden, eine Last, um sich selbst zu
täuschen. Es sind Heuschrecken, die sich überlebt haben.
Die Droschke muß zuerst eine Amöbe gewesen sein, danr ^eit eines
Zentauren, ein Krebs, ein häutiger Sproß, eine Rosa Josepha ^sonderer Art.
Dann ein selbständiges Tier, wie eine Fledermaus auf Rädern, ein verwandeltes
Beuteltier.
Sie war vielleicht ein Seepferd, als der Mensch ein Affe war.
Später häuften sich Menschen und Tiere. Große Spinnen schmarotzten, klam>
merten sich aneinander, vereinigten und begatteten sich. Die Fledermaus, die erst
riesig war, wurde kleiner und kleiner, blind und taub, zog sich in sich selbst zurück
und erwachte erst in der Regenzeit, um vorsichtig die feuchte Last abzuschütteln,
die auf ihr ruhte.
Die Zwangsarbeiten am Sabbat, an dem die von den Hexen Verurteilten
Kugeln schleifen mußten, erneuerten die Rassen durch Vermischung.
Die Art bildete sich aus, festigte und vollendete sich. Eine Elite sonderte sich
ab, die trug Uhr und Galoschen. Der Mensch gab ihr seine Seele und §eine Fauh
heit. Die faulen Droschken ließen sich von Auvergnern führen und von Geistern
ziehen, an deren Stelle bald abgewirtschaftete Junker traten, fadenscheinig und
ausgemergelt, daß das Geschirr im Galopp klirrte; ein trauriger Anblick.
Eines Abends döste ich bei erstickender Hitze auf einem Stuhl in den Champs
Elysees, sah auf die vorbeischlendernden Leute, auf den Platz der Concorde, und
begann zu träumen.
Das Ende der Welt war da, ein mildes und ungeheuerliches Ende. Das Wasser
stieg mit unerbittlicher Gleichgültigkeit.
Eine riesige schon schwimmende Droschke kam auf mich zu, das Pferd
schnaubte, stieß an meinen Stuhl, wobei grüne Rauchspiralen aus seiner Nase
kamen, mich benebelten und erregten; da sah ich, daß es ein Zentaur war mit
dem Gesicht von Barbey von d'Aurevilly.
Ich glaubte ihn mit seiner gewöhnlichen Hochnäsigkeit zu mir sagen zu hören:
„Das Wetter ist wahrhaftig zu schlecht. Ich habe meine Möbel aufs Land geschickt
und nur das Nötigste bei mir." Seine Augenbrauen waren aus Salpeter. Nun schrie
er wild: „Steigen Sie ein, steigen Sie ein!" Ich hätte ihn gern aufgespießt. Er fuhr
mich lang durch die nächtliche Stadt. Das Wasser stieg bis zu uns herauf. Die
Lampen weinten rote Tränen. Die Mauern bildeten schwere Hindernisse wie in
Valogne zur Zeit des Chevalier des Touches.
Ich näherte mich seinem Ohr, um ihn zu fragen, wo er uns hinfahren wolle,
als er plötzlich vor einer riesigen flammensprühenden Tür anhielt und mich hart
schüttelte: , Wir sind da", sagte er.
Ich las auf der Tür: ZUR HÖLLE.
(Deutsch von Peter Eysoldt)

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