und einer sehr genauen Untersuchung der gesellschaftlichen Herkunft des Antrag-
stellers. Der zweite Punkt ist entscheidend. Mit wenigen Ausnahmen werden die
Kinder von „Ehemaligen", von Geistlichen, von Kaufleuten oder anderen grund-
sätzlich feindlichen Klassen nicht zugelassen. Die Anzahl der Plätze ist gering,
die an die Kinder der Intelligenz vergeben werden. „Die Wissenschaft gehört
dem Arbeiter", und die Kinder von Arbeitern und Bauern fordern ihr Recht.
Kein Wunder, daß ein verwirrter Antragsteller auf dem Fragebogen unter „Ge-
sellschaftliche Herkunft" einsetzte: „Vater — zwei Arbeiter, Mutter — Bauern-
tochter."
Jeder Student erhält ein Stipendium, siebenundzwanzig Rubel imMonat, dassind
vierundfünfzig Mark. Für die meisten ist das ihr einziges Einkommen. Wem es
gelingt, in den billigen Schlafkasernen einen Platz zu finden, der wohnt dort.
Andere hausen, wo sie grade unterkommen. Es ist nicht leicht. Die Studenten
essen in Küchen, die für sie eingerichtet sind, sie erhalten Ermäßigungen, dann
und wann ein paar Theaterkarten, ärztliche Hilfe und billige Heimreise. Trotz-
dem machen siebenundzwanzig Rubel im Monat auch dem Sparsamsten einiges
Kopfzerbrechen.
* * *
In einem Flügel des Hauptgebäudes der Hochschule befindet sich das
Studentenheim. Im Aufenthaltsraum des Heimes, der ehemaligen Universitäts-
kapelle, haben sich in den höchsten Winkeln, die noch nicht getüncht worden
sind, immer noch ein paar Engel in Fresko erhalten. Im Erdgeschoß befinden sich
die Wohnräume mit Schachbrettern und einem Tisch für Ping-Pong. Eine Fülle
von Studenten drängt sich hier jeden Abend, und immer ist eine Debatte im
Gang. Eines Abends saß ich dort mit Woronow. Die Adamowa bildete den
Mittelpunkt einer kleinen Gruppe neben uns. Ihre Stimme übertönte die anderen.
„... Es ist schwer", sagte sie, „aber sie hätten wissen sollen, daß eine Ehe un-
möglich ist . . ."
„Sie sprechen von der Pyatnitskaja", erklärte mir Woronow. „Voriges Jahr
heiratete sie einen Studenten. Sie versuchten, von ihrem Stipendium zu leben . ..
dann bekamen sie ein Kind. Gott weiß, wozu. Sie konnte das Studium nicht
durchhalten, aber sie brauchte das Stipendium; deshalb mußte sie irgendwie
weiter studieren. Dann ließ sich ihr Mann von ihr scheiden und verließ Moskau . ..
Sie tötete das Kind und hat sich schließlich vorige Woche das Leben genommen."
„Was hätte sie denn tun sollen?" fragte ein Student.
„Tun? Was tut ihr denn? — Heiraten? Nein, alle Studentenehen gehen
schlecht aus und hindern uns an der Arbeit."
Jemand meinte, die Stipendien sollten erhöht werden. „Genossen, was sagt
ihr da? Ist unsere Regierung etwa ein Millionär, der den Studenten hohe Gehälter
zahlen kann? Wir müssen auch Opfer bringen. Keine Heirat . .. Sie ist über-
flüssig."
Ein Student sprach von dem Schriftführer einer Gruppe des Bundes Junger
Kommunisten, der öffentlich ausgestoßen wurde, weil er seine Stellung dazu
mißbrauchte, sich die Mädchen seiner Gruppe gefügig zu machen.
„Es geschah ihm recht", sagte die Adamowa, „wir müssen Ansprüche stellen,
und zwar hohe Ansprüche. Ein Schwein, wie er, der seine öffentliche Stellung
in solcher Weise mißbraucht, hat kein Recht auf sie. Er vernachlässigt seine
Pflichten, beschmutzt den Ruf unserer Partei, liefert unseren Feinden Stoff zum
Kampf gegen uns. Wenn das ins Ausland dringt, wird die kapitalistische Presse
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stellers. Der zweite Punkt ist entscheidend. Mit wenigen Ausnahmen werden die
Kinder von „Ehemaligen", von Geistlichen, von Kaufleuten oder anderen grund-
sätzlich feindlichen Klassen nicht zugelassen. Die Anzahl der Plätze ist gering,
die an die Kinder der Intelligenz vergeben werden. „Die Wissenschaft gehört
dem Arbeiter", und die Kinder von Arbeitern und Bauern fordern ihr Recht.
Kein Wunder, daß ein verwirrter Antragsteller auf dem Fragebogen unter „Ge-
sellschaftliche Herkunft" einsetzte: „Vater — zwei Arbeiter, Mutter — Bauern-
tochter."
Jeder Student erhält ein Stipendium, siebenundzwanzig Rubel imMonat, dassind
vierundfünfzig Mark. Für die meisten ist das ihr einziges Einkommen. Wem es
gelingt, in den billigen Schlafkasernen einen Platz zu finden, der wohnt dort.
Andere hausen, wo sie grade unterkommen. Es ist nicht leicht. Die Studenten
essen in Küchen, die für sie eingerichtet sind, sie erhalten Ermäßigungen, dann
und wann ein paar Theaterkarten, ärztliche Hilfe und billige Heimreise. Trotz-
dem machen siebenundzwanzig Rubel im Monat auch dem Sparsamsten einiges
Kopfzerbrechen.
* * *
In einem Flügel des Hauptgebäudes der Hochschule befindet sich das
Studentenheim. Im Aufenthaltsraum des Heimes, der ehemaligen Universitäts-
kapelle, haben sich in den höchsten Winkeln, die noch nicht getüncht worden
sind, immer noch ein paar Engel in Fresko erhalten. Im Erdgeschoß befinden sich
die Wohnräume mit Schachbrettern und einem Tisch für Ping-Pong. Eine Fülle
von Studenten drängt sich hier jeden Abend, und immer ist eine Debatte im
Gang. Eines Abends saß ich dort mit Woronow. Die Adamowa bildete den
Mittelpunkt einer kleinen Gruppe neben uns. Ihre Stimme übertönte die anderen.
„... Es ist schwer", sagte sie, „aber sie hätten wissen sollen, daß eine Ehe un-
möglich ist . . ."
„Sie sprechen von der Pyatnitskaja", erklärte mir Woronow. „Voriges Jahr
heiratete sie einen Studenten. Sie versuchten, von ihrem Stipendium zu leben . ..
dann bekamen sie ein Kind. Gott weiß, wozu. Sie konnte das Studium nicht
durchhalten, aber sie brauchte das Stipendium; deshalb mußte sie irgendwie
weiter studieren. Dann ließ sich ihr Mann von ihr scheiden und verließ Moskau . ..
Sie tötete das Kind und hat sich schließlich vorige Woche das Leben genommen."
„Was hätte sie denn tun sollen?" fragte ein Student.
„Tun? Was tut ihr denn? — Heiraten? Nein, alle Studentenehen gehen
schlecht aus und hindern uns an der Arbeit."
Jemand meinte, die Stipendien sollten erhöht werden. „Genossen, was sagt
ihr da? Ist unsere Regierung etwa ein Millionär, der den Studenten hohe Gehälter
zahlen kann? Wir müssen auch Opfer bringen. Keine Heirat . .. Sie ist über-
flüssig."
Ein Student sprach von dem Schriftführer einer Gruppe des Bundes Junger
Kommunisten, der öffentlich ausgestoßen wurde, weil er seine Stellung dazu
mißbrauchte, sich die Mädchen seiner Gruppe gefügig zu machen.
„Es geschah ihm recht", sagte die Adamowa, „wir müssen Ansprüche stellen,
und zwar hohe Ansprüche. Ein Schwein, wie er, der seine öffentliche Stellung
in solcher Weise mißbraucht, hat kein Recht auf sie. Er vernachlässigt seine
Pflichten, beschmutzt den Ruf unserer Partei, liefert unseren Feinden Stoff zum
Kampf gegen uns. Wenn das ins Ausland dringt, wird die kapitalistische Presse
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