suchen mußte. (Daß diese Reisen seltener und kürzer wurden, war, allen Ernstes,
eine der psychologischen Ursachen der Separation von 1905.) Palle empfing den
König, wie weiland Harald Schönhaar einen verbündeten Häuptling empfangen
haben würde: er ließ in der Peisestua, dem nach dem offenen Kamin genannten
Haupt- und Festraum des norwegischen Hauses, für sich und den König decken,
nebenan für die Königin, das Gefolge und Gesinde. Er hatte auch gehört, was
neuer Schick und Brauch sei, und begann jeden Satz mit „Deine Majestät". Der
König machte gute Miene und duzte ihn wieder:
„Du hast so gute Zigarren, Palle, darf ich mir noch eine nehmen?"
„Verflucht, nimm die ganze Kiste, Deine Majestät!"
Die norwegische Demokratie ist keine Parteisache, sie ist eine Demokratie
von unten herauf, eine gewachsene Demokratie, eine sakrale Demokratie. Was
überall sonst schärfster Gegensatz ist, wird hier vereinbar. Wie anders ist es sonst
verständlich, daß bestimmte Berufsgruppen, bestimmte Handwerke während
bestimmter Wochen des Jahres „ihre Ferien" haben, so die Allgemeinheit
zwingend, sich eine Zeitlang ihren Dreck allein zu machen. Wie anders ist es
denkbar, daß, wenn ein Viertel der Abiturienten durchfällt, ein Untersuchungs-
verfahren erfolgt — gegen das Prüfungskollegium. Wie vor allem ist es anders
begreiflich, daß diese revolutionären Einrichtungen „konservativen" Ursprungs
sind, während die nationale Sprachbewegung, die nationale Namensbewegung,
die Abstinenzbewegung, deren Träger überall in der Welt Konservative sind,
zu den Streitrufen der radikalen Partei gehören.
Gewiß, unsere Verhältnisse sind klein: Ole Olsen und Jens Jensen lesen sich
und ihre Familienverhältnisse oft und ausführlich in der Zeitung. Sie wissen, daß
Konsul Irgens aus Bodö am Mittwoch im Grandhotel sein wird, sie wissen auch,
weshalb er nach Oslo kommt und daß er unverrichteter Dinge wieder abfahren
wird.
In meinem Viertel gibt es einen Mann namens Larsen mit dem Holz. Er
bringt das Brennholz für alle Stockwerke aller Häuser. Er liefert es nicht etwa,
er trägt es vom Keller herauf. Dieser Mann Larsen hat sich etwas Geld gespart.
Wird er einen „Holzhandel" anfangen? Nein, er kauft sich draußen im Fjord ein
Endchen Ufer, auf seinem Grundstück gibt es eine winzige Seehütte, sechserlei
Bäume und sogar Süßwasser. Der Mann Larsen verbringt im Sommer ein reich-
lich bemessenes Wochenende mit Fischfang und Nichtstun auf seiner Hütte. Der
Gelegenheitsarbeiter Larsen. Kapitalgewinn zum Zweck der Befriedigung er-
höhter Lebensbedürfnisse! Aus welchem Winkel unseres kranken Planeten habe
ich das schon einmal gehört?
Möglich, daß Larsen Geld von der Hypothekenbank hat. Möglich, daß die
Bank falliert, daß Larsen bettelarm wird inmitten der Segnungen unserer demo-
kratischen Lebensform. Aber bis dahin nimmt Larsen teil an dem Staate, dessen
Teil er so sichtbar ist. Larsen will wissen, wie regiert wird, weil er es ist, der
regiert wird und regiert. Das kann ihm niemand verwehren, auch nicht unser
großer alter Mann, der grimmige Hasser der Städte, Geschäfte und Geschäftig-
keiten, der nie wieder ein Buch schreiben will, und dessen Name hier aus Ehr-
furcht nicht genannt werden soll, weil mit ihm in diesen Kategorien nicht ge-
rechtet werden kann.
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eine der psychologischen Ursachen der Separation von 1905.) Palle empfing den
König, wie weiland Harald Schönhaar einen verbündeten Häuptling empfangen
haben würde: er ließ in der Peisestua, dem nach dem offenen Kamin genannten
Haupt- und Festraum des norwegischen Hauses, für sich und den König decken,
nebenan für die Königin, das Gefolge und Gesinde. Er hatte auch gehört, was
neuer Schick und Brauch sei, und begann jeden Satz mit „Deine Majestät". Der
König machte gute Miene und duzte ihn wieder:
„Du hast so gute Zigarren, Palle, darf ich mir noch eine nehmen?"
„Verflucht, nimm die ganze Kiste, Deine Majestät!"
Die norwegische Demokratie ist keine Parteisache, sie ist eine Demokratie
von unten herauf, eine gewachsene Demokratie, eine sakrale Demokratie. Was
überall sonst schärfster Gegensatz ist, wird hier vereinbar. Wie anders ist es sonst
verständlich, daß bestimmte Berufsgruppen, bestimmte Handwerke während
bestimmter Wochen des Jahres „ihre Ferien" haben, so die Allgemeinheit
zwingend, sich eine Zeitlang ihren Dreck allein zu machen. Wie anders ist es
denkbar, daß, wenn ein Viertel der Abiturienten durchfällt, ein Untersuchungs-
verfahren erfolgt — gegen das Prüfungskollegium. Wie vor allem ist es anders
begreiflich, daß diese revolutionären Einrichtungen „konservativen" Ursprungs
sind, während die nationale Sprachbewegung, die nationale Namensbewegung,
die Abstinenzbewegung, deren Träger überall in der Welt Konservative sind,
zu den Streitrufen der radikalen Partei gehören.
Gewiß, unsere Verhältnisse sind klein: Ole Olsen und Jens Jensen lesen sich
und ihre Familienverhältnisse oft und ausführlich in der Zeitung. Sie wissen, daß
Konsul Irgens aus Bodö am Mittwoch im Grandhotel sein wird, sie wissen auch,
weshalb er nach Oslo kommt und daß er unverrichteter Dinge wieder abfahren
wird.
In meinem Viertel gibt es einen Mann namens Larsen mit dem Holz. Er
bringt das Brennholz für alle Stockwerke aller Häuser. Er liefert es nicht etwa,
er trägt es vom Keller herauf. Dieser Mann Larsen hat sich etwas Geld gespart.
Wird er einen „Holzhandel" anfangen? Nein, er kauft sich draußen im Fjord ein
Endchen Ufer, auf seinem Grundstück gibt es eine winzige Seehütte, sechserlei
Bäume und sogar Süßwasser. Der Mann Larsen verbringt im Sommer ein reich-
lich bemessenes Wochenende mit Fischfang und Nichtstun auf seiner Hütte. Der
Gelegenheitsarbeiter Larsen. Kapitalgewinn zum Zweck der Befriedigung er-
höhter Lebensbedürfnisse! Aus welchem Winkel unseres kranken Planeten habe
ich das schon einmal gehört?
Möglich, daß Larsen Geld von der Hypothekenbank hat. Möglich, daß die
Bank falliert, daß Larsen bettelarm wird inmitten der Segnungen unserer demo-
kratischen Lebensform. Aber bis dahin nimmt Larsen teil an dem Staate, dessen
Teil er so sichtbar ist. Larsen will wissen, wie regiert wird, weil er es ist, der
regiert wird und regiert. Das kann ihm niemand verwehren, auch nicht unser
großer alter Mann, der grimmige Hasser der Städte, Geschäfte und Geschäftig-
keiten, der nie wieder ein Buch schreiben will, und dessen Name hier aus Ehr-
furcht nicht genannt werden soll, weil mit ihm in diesen Kategorien nicht ge-
rechtet werden kann.
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