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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Čapek, Karel: Anmerkung zur Pornographie
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0509

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keine große Rolle, und der Autor selbst verwechselt gelegentlich ihren schwarzen
Schopf oder die blonden Locken. Sie ist weder dünn noch dick: ihr Leib ist
universal wie ein anatomisches Modell. Sie ist durch kein Charaktermerkmal
näher gekennzeichnet; sie ist nur, wie man sagt, temperamentvoll. Da ein mono-
games Verhältnis wenige Variationen hat, müssen aus technischen Gründen
mehr Männer oder Frauen dasein; es kommt hier freilich nicht auf ihre persön-
lichen Unterschiede an, sondern auf die Stückzahl. Daher tauchen hier regelmäßig
Wüstlingsklubs, Mädchenpensionate oder große Hetären auf. Die Sexualhelden
reisen von Ort zu Ort mit der Über-
siedlungsleidenschaft von Geschäfts-
reisenden, um eine neue Umgebung
für dieWiederholung ihrer gewohnten
Funktion zu finden. Ein pornogra-
phischer Roman hat zwar gemeinhin
einen Anfang, aber niemals ein Ende;
mit Rücksicht auf den Charakter des
Gegenstandes kann er weder mit dem
Tod noch mit dem Alter, weder mit
Resignation noch mit einer Katharsis,
ja nicht einmal mit dem üblichen rei-
zenden Kindchen endigen. Es gibt
keinen Abschluß, weil es keine Hand-
lung gibt; im Interesse der Sache muß
sich die Liebesbefriedigung möglichst
oft wiederholen, wodurch sie zu einer
bloßen Episode degradiert wird. Ein
gewöhnlicher, sentimentaler Liebes-
roman, in welchem die Liebenden nach
unzähligen Unbilden auf der letzten
Seite einander in die Arme fallen, ist als


Altes Titelblatt

erotische Begebenheit viel pathetischer
und leidenschaftlicher, denn er macht das zum Lebensgipfel und triumphalen
Abschluß, was in der Pornographie nur eine vorübergehende Episode ist. Die
Pornographie ist literarische Prostitution: sie dient nicht nur zur Befriedigung,
sondern auch zur Entwürdigung des Erotismus.

Zum Unterschied von den „saftigen" Anekdoten ist die echte Pornographie
durchaus ohne Humor und Spott; sie nimmt ihre Sache fast pedantisch ernst und
mit trostloser Friseureleganz, vollkommen von der Versuchung verschont, das
Groteske ihres Gegenstandes zu durchschauen. Niemals flammt in ihr auch nur
leise Abscheu und Revolte auf, Mitleid, Bitterkeit oder Selbstquälerei; sie
empfindet weder das Lächerliche noch den Schmerz, weder Erniedrigung noch
Häßlichkeit; wahrlich, nichts ist der Wirklichkeit so fremd wie dieser pomadisierte
Eros. Was immer hier geschildert wird, alles ist wundervoll, duftig, anmutig,
süß, vollkommen, paradiesisch, kostspielig, weißschimmernd wie Samt, wie

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