Schauspiel beizuwohnen, defraudierten einige kleine Kassierer und Versicherungs-
agenten, Kassenboten und Schweinezüchter und je ein Beamter des Agrar- und
des Kultusministeriums, letztere sozusagen ex offo. Mit dem ersten Revolverschuß
konnte die Saison als eröffnet betrachtet werden. Am selben Abend schüttelten
in sämtlichen Lehnstühlen des Landes die bürgerlichen Väter ihre bärtigen Köpfe
und hoben vor den Söhnen warnend den Zeigefinger. Als weiterer Beweis für die
Gefährlichkeit des Sportes galt noch der bekannte Haifisch von Fiume und das
Abbrennen von Feuerwerk am k. u. k. Geburtstag (da einmal eine Rakete vor-
zeitig explodierte). Die Detektivromane waren noch nicht erfunden, und der
radikalere Teil der Jugend las billige Witzblätter, stieg den Hausmeisterstöchtern
nach und schlug im Vorbeigehen den Droschkengäulen klatschend auf die Schenkel.
*
Amerika war um diese Zeit noch nicht entdeckt. Wie sollte man Sport treiben ?
Ein Mann konnte sich noch so sehr ausziehen, er mußte den Bart anbehalten, der
beim Laufen wie ein Feigenblatt der Seele protestierend im Wind flatterte. Je
keuscher man den Körper hielt, desto kühner dachte man sich den Geist, der damals
noch Seele hieß. Das Nebeneinander der Zwei, die schwere Trapez-Balancier-
Nummer des Menschen, wurde zu einem unerquicklichen Gegenüber, bei dem
der Geist hoheitsvolle Fratzen schnitt und in angeblich lichte Höhen schnellte,
was dem Körper ständigen Brechreiz verursachte. Er hielt sich dafür im Dunkeln
schadlos. Gestalten, wie der Ritter Freystädtler, dessen Palais jahrzehntelang von
nächtlichen Orgien (?) widerhallte, hielt die Phantasie eines ganzen Landes
(Ungarn) im Bann. ¥
Die Zeit hatte einen französischen Zug. Man nannte dernier cri was heute
up to date heißt. Doch das einzig Verständige was man aus Paris bezog, waren die
Gouvernanten, die dem Jüngling zu einem feineren Verständnis der Liebe verhalfen.
*
Der Mensch hat Freude am Spiel, und so findet er heraus, daß man sich gegen
die Unbilden der Witterung und des Geschlechtes durch Kleidung schützen
sollte. Schön ist auch ein Zylinderhut und Glasketten auf dem tätowierten Körper,
darüber ein sinnloser Sonnenschirm. Doch die Bürgerlichen der neunziger Jahre
hatten den Geschmack am Spiel verloren und somit den Geschmack schlechthin,
gegen sogenanntes schlechtes Wetter schützten sie sich durch Zuhausebleiben,
sie wußten daher mit ihrer Kleidung ebensowenig anzufangen, wie mit ihrem
Körper. Es entstand ein dunkles, faseriges Wesen, das den Sonnenschein floh,
im Regen sich hüpfend vorwärtsbewegte, während es sich bei Wind bald ent-
blätterte, wie eine vertrocknete Zwiebel. Wurde es durch ein freudiges Ereignis
in erregten Gemütszustand versetzt, dann hob es langsam das Bein, schaute sich
ängstlich nach allen Seiten um und machte eiligst zwei kleine Schritte vorwärts
und rückwärts. So entstand die Polka.
¥
Das Regenschirmtier dieser Zeit vermehrt sich durch Spaltung. Von ihm
zum Idiosaurus einer kommenden Epoche führt der Weg über das fröhlich harm-
lose Muskeltier von heute. Den Anstoß zu dieser Entwicklung gab die Feuerwehr
von Debreczin, die im Jahre 1896 den ersten Preis bei den olympischen Spielen
in Athen gewann. Die Infektion verbreitete sich im Land fast so rasch wie geistige
Seuchen, und bald begannen die ersten Exemplare der Gattung schamlos Fußball
zu spielen. Das Antlitz der Welt veränderte sich langsam.
Dann kam der Weltkrieg.
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agenten, Kassenboten und Schweinezüchter und je ein Beamter des Agrar- und
des Kultusministeriums, letztere sozusagen ex offo. Mit dem ersten Revolverschuß
konnte die Saison als eröffnet betrachtet werden. Am selben Abend schüttelten
in sämtlichen Lehnstühlen des Landes die bürgerlichen Väter ihre bärtigen Köpfe
und hoben vor den Söhnen warnend den Zeigefinger. Als weiterer Beweis für die
Gefährlichkeit des Sportes galt noch der bekannte Haifisch von Fiume und das
Abbrennen von Feuerwerk am k. u. k. Geburtstag (da einmal eine Rakete vor-
zeitig explodierte). Die Detektivromane waren noch nicht erfunden, und der
radikalere Teil der Jugend las billige Witzblätter, stieg den Hausmeisterstöchtern
nach und schlug im Vorbeigehen den Droschkengäulen klatschend auf die Schenkel.
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Amerika war um diese Zeit noch nicht entdeckt. Wie sollte man Sport treiben ?
Ein Mann konnte sich noch so sehr ausziehen, er mußte den Bart anbehalten, der
beim Laufen wie ein Feigenblatt der Seele protestierend im Wind flatterte. Je
keuscher man den Körper hielt, desto kühner dachte man sich den Geist, der damals
noch Seele hieß. Das Nebeneinander der Zwei, die schwere Trapez-Balancier-
Nummer des Menschen, wurde zu einem unerquicklichen Gegenüber, bei dem
der Geist hoheitsvolle Fratzen schnitt und in angeblich lichte Höhen schnellte,
was dem Körper ständigen Brechreiz verursachte. Er hielt sich dafür im Dunkeln
schadlos. Gestalten, wie der Ritter Freystädtler, dessen Palais jahrzehntelang von
nächtlichen Orgien (?) widerhallte, hielt die Phantasie eines ganzen Landes
(Ungarn) im Bann. ¥
Die Zeit hatte einen französischen Zug. Man nannte dernier cri was heute
up to date heißt. Doch das einzig Verständige was man aus Paris bezog, waren die
Gouvernanten, die dem Jüngling zu einem feineren Verständnis der Liebe verhalfen.
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Der Mensch hat Freude am Spiel, und so findet er heraus, daß man sich gegen
die Unbilden der Witterung und des Geschlechtes durch Kleidung schützen
sollte. Schön ist auch ein Zylinderhut und Glasketten auf dem tätowierten Körper,
darüber ein sinnloser Sonnenschirm. Doch die Bürgerlichen der neunziger Jahre
hatten den Geschmack am Spiel verloren und somit den Geschmack schlechthin,
gegen sogenanntes schlechtes Wetter schützten sie sich durch Zuhausebleiben,
sie wußten daher mit ihrer Kleidung ebensowenig anzufangen, wie mit ihrem
Körper. Es entstand ein dunkles, faseriges Wesen, das den Sonnenschein floh,
im Regen sich hüpfend vorwärtsbewegte, während es sich bei Wind bald ent-
blätterte, wie eine vertrocknete Zwiebel. Wurde es durch ein freudiges Ereignis
in erregten Gemütszustand versetzt, dann hob es langsam das Bein, schaute sich
ängstlich nach allen Seiten um und machte eiligst zwei kleine Schritte vorwärts
und rückwärts. So entstand die Polka.
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Das Regenschirmtier dieser Zeit vermehrt sich durch Spaltung. Von ihm
zum Idiosaurus einer kommenden Epoche führt der Weg über das fröhlich harm-
lose Muskeltier von heute. Den Anstoß zu dieser Entwicklung gab die Feuerwehr
von Debreczin, die im Jahre 1896 den ersten Preis bei den olympischen Spielen
in Athen gewann. Die Infektion verbreitete sich im Land fast so rasch wie geistige
Seuchen, und bald begannen die ersten Exemplare der Gattung schamlos Fußball
zu spielen. Das Antlitz der Welt veränderte sich langsam.
Dann kam der Weltkrieg.
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