Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 12.1932

DOI Artikel:
Musil, Robert: Kunst und Moral des Crawlens
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0604

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
denen Arten der körperlichen Anlage verschiedene Ausnutzung verlangen, und
etwa noch so viel wie bei einem Rennboot, das doch immer eine Individualität
ist, wenn es auch nach noch so genauen Formeln gebaut wird. Höhere geistige
Vorgänge, wie etwa bei den eigentlichen Kampfsporten oder beim Reiten, wo
das Verhalten zu einem zweiten Wesen mit ins Spiel kommt, werden vom
Schwimmen wenig in Anspruch genommen. Aber indem ich das Wort höhere
geistige Vorgänge niederschreibe, brennt mir auch schon die Warnung auf der
Zunge, die ich bisher zurückgedrängt habe: Suchen Sie auf keinen Fall im Sport
das Hohe, sondern nimmer nur das Niedere! Das wird heute im Wert verwechselt
und auf eine Weise, die so eigentümlich ist, daß ein paar Worte darüber schon
wirklich lohnen.
Wir hören es nie anders, als daß der Sport menschlich erziehe, worunter
ungefähr verstanden wird, daß er seinen Jüngern allerhand hohe Tugenden, wie
Freimut, Verträglichkeit, Redlichkeit, Geistesgegenwart, klares und schnelles
Denken verleihe. Nun, Sie wissen es: der große Sportsmann ist nicht nur ein
Genie, sondern — solange er keine Prozente nimmt — auch ein Heiliger. In
Wahrheit würde aber, ebenso ernst genommen, auch jede andere Beschäftigung
die gleichen Tugenden verleihn, und was der Sport moralisch noch anderes be-
wirkt, ist höchstens eine Verfassung gelassener Nettigkeit und Aufmerksamkeit
auf sich und andere, wie man sie auch aus den erschlossenen ersten Tagen eines
Sommeraufenthalts kennt, und jenes sichere Verhältnis zur Natur, das sich in dem
Gefühl äußert, man könnte Bäume ausreißen. Im Sport die Ausbildung höherer
moralischer und intellektueller Fähigkeiten zu suchen, kommt von jener ver-
alteten Psychologie, die geglaubt hat, das Tier sei entweder eine Maschine, oder
es müsse, wenn es eine Wurst sehe, einen Syllogismus von der Art baun: das ist
eine Wurst, alle Würste sind wohlschmeckend, also werde ich jetzt diese Wurst
essen. Nun ist das Tier aber weder eine Maschine, noch baut es Syllogismen,
noch schließt und urteilt der Mensch in reizvollen Lagen so. Sondern was bei
Tier und Mensch stattfindet, ist bei schnellen Handlungen ein geschichtetes In-
einandergreifen von artmäßig und persönlich festgelegten Verhaltensweisen, die
beide fast mechanisch auf äußere Reize „ansprechen", dazu eine vorausgestreckte
Aufmerksamkeit, die auf ähnliche Weise das schon bereitstellt, was in der nächsten
Phase in Anspruch genommen werden wird, und schließlich ein dauerndes, völlig
unbewußtes Anpassen der vorgebildeten Reaktionsformen an das augenblicklich
Erforderliche: auch ein Mensch vollführt die verwickeltsten Handlungen ohne Be-
wußtsein, ohne Geist, woraus man ja vielleicht auch schließen darf, daß die Rolle
des Geistes nicht die ist, eine im Sport zu spielen.
Es ist kein unwitziger Widerspruch, daß es heute über solche Fragen sehr ein-
gehende Untersuchungen von Philosophen und Biologen gibt, die den Begriff
der menschlichen Genialität gerade dadurch neu aufbaun, daß sie ihn über einer
tieferen Erforschung der tierischen Natur errichten, während unsere Sportschrift-
steller noch immer dabei sind, den Besitz der sittlichen plus der theoretischen
Vernunft für eine selbstverständliche Voraussetzung des Crawlens und des
Sports zu halten.

416
 
Annotationen