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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Huxley, Aldous: Deutscher Prunk und deutsche Askese
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0698

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Es war Pfingst-Sonntag und außerordentlich heiß. Gemeinsam mit so ziemlich
der gesamten Bevölkerung von Kassel war ich zur geheiligten Stätte des Herkules
auf dem Gipfel des Hügels emporgepilgert. Über die grasigen Hänge verstreut,
glichen wir — glaube ich — beunruhigend jenen fröhlichen Feiertagsausflüglern,
die auf Breughels großem Gemälde nach Golgatha strömen, um sich die Kreu-
zigung zu begucken. Schließlich war der „Aussichtspunkt" erreicht. Dort, im
Schatten des Gottes, angesichts der plätschernden Wasser unter mir und der
strahlenden Sonne auf den grünen Kuppeln des Palastes zu Füßen des riesigen
Katarakts, ertappte ich mich, wie ich prosaisch über Mittel und Wege und
Beweggründe grübelte.
Wie konnte sich ein Landgraf von Hessen zu so kaiserlichem Glanz empor-
schwingen? Und wie, wenn er schon das Geld irgendwie aufbrachte, kam er auf
die Idee, es in so phantastisch verschwenderischer Weise hinauszuwerfen? Und
endlich, warum ließen sich die Hessen diese Extravaganz ihres Herrschers gefallen?
Schließlich war es ihr Geld, das man von ihnen durch Steuereinnehmer und Büttel
erpreßt hatte. Als sie es nun für ein Haus und einen Garten vergeudet sahen —
warum erhoben sie sich da nicht gegen den törichten, unverantwortlichen
Tyrannen? Warum, mit einem Wort, benahmen sie sich nicht, angesichts dieser
unverhohlenen Ausbeutung, wie man es von Proletariern erwarten sollte?
*
Die Antwort auf diese letzten Fragen hielten die guten Bürger von Kassel,
rings um mich, auch schon bereit. „Schön, herrlich, prachtvoll" — ihre Be-
wunderung machte sich überall Luft. Sie genossen in vollen Zügen. Nun, es
besteht kein Grund zur Annahme, daß die Hessen von 1750 sich wesentlich von
den Hessen von 1932 unterschieden. Sie bewunderten die Wasserkünste und
genossen ihre Bewunderung geradeso wie ihre Nachkommen von heute. Das
Schauspiel prunkenden Wohlstands erregt nicht notwendigerweise — wie berufs-
mäßige Revolutionäre zu glauben scheinen — Neidgefühle in den Herzen der
Armen. Bei leidlichem Wohlstand im Lande bereitet es ihnen viel häufiger nichts
als Vergnügen. Die Hessen haben ihren Fürsten nicht umgebracht, weil er soviel
Geld für sein Haus und seinen Garten verschwendet hat; im Gegenteil, sie waren
ihm wahrscheinlich dankbar, daß er für sie eine Art Märchenlands schuf, das sie
anschauen und gelegentlich durchwandern durften, und daß er in festem Gestein
und regenbogenfarbig sprühendem Wasser so manchen ihrer verschwommenen
Tagträume von Macht und Herrlichkeit verwirklichte.
Es gehört zu den Aufgaben des Herrschertums, gewöhnliche Sterbliche mit
einer ersatzweisen, aber darum nicht weniger wirklichen Erfüllung ihrer Wünsche
zu versorgen. Könige, die großen Prunk entfalten, sind populärer als Könige, die
ein farbloses Dasein führen. Das Volk verzeiht nicht nur, es rühmt sogar die
Extravaganzen, die einem utilitarischen Wirtschaftslehrer fast verbrecherisch er-
scheinen müssen. Ein weiser König setzt stets einen gewissen Prozentsatz seines
Einkommens für Prunk aus. Paläste und Wasserkünste bedeuten gute Reklame
für das Königtum, geradeso wie eindrucksvolle Geschäftsgebäude gute Reklame
für Aktiengesellschaften sind — und wie die ungeheuren mittelalterlichen Kathe-
dralen, Gold und Marmor der Jesuitenkirchen gute Propaganda für die Religion
waren.±

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