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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Starke, Ottomar: Der unnütze Schach-Verstand
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0726

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paar Tücken und Finten um Holzköpfe herum sein bißchen Miniaturpolitik be-
treibt, mag es hingehn und als leidliche Beschäftigung nach Geschäftsschluß
gelten, für Leute, die bei einer Tasse Kaffee sich auf das Wiedersehn mit der
Familie vorbereiten oder einen anderen Ärger abzureagieren wünschen. Wenn
aber Schachmeister sich unter dem Sirenengeheul und Tamtam der Reklame
napoleonisch geben, weil sie ein paar Dutzend Simultanpartien herunterleiern,
dann sind das Varietefaxen, die neben Schnellrechnerei und Schnelldichterei zu
rangieren haben. Als solches mögen diese Schaustellungen hingehen. Es ist aber
recht kindlich, hier von Strategie, von Genie und von dem und vielem andern
womöglich noch im Superlativ zu faseln. Denn es handelt sich um die genaue
Kenntnis einiger Dutzend Eröffnungen mit ihren paar hundert Varianten und um
die Begabung, den Gegner zu einem Fehlzug zu vermögen, dessen Wirkungen
ausgeprobt sind. Denn die Unendlichkeit der Schach-Möglichkeiten ist nur eine
mathematische, praktisch hingegen läßt sich eine gewisse Stereotypie nicht
leugnen. Was aber die Kenntnis der Eröffnungen und Varianten betrifft, so läßt
sich dieses Wissen erbüffeln, und es gehört bei weitem nicht der Fleiß dazu, den
etwa ein Abiturient aufbringen muß, um Matura zu machen.
Es bedarf nur eines Blicks in die von Schachmeistern verfaßten Wälzer, um an
den Selbstbeweihräucherungen gelegentlich der Kommentare zu eigenen Turnier-
partien zu sehn, daß das Schachspiel unbedingt den Charakter verdirbt. Es ver-
leitet zu Überheblichkeit, Arroganz und ähnlichen liebenswerten Eigenschaften.
Es verhilft Faulpelzen und Großmäulern in den Augen von Dummköpfen zu
einem billigen Ruhm. So vielfältig das Spiel ist, so einfältig sind im allgemeinen
die Spieler. Sie gleichen jenen hausbackenen Zeitgenossen, die geistreich zu sein
glauben, wenn sie die Witze aus den Wochenblättern weitererzählen, und denen
bei gegebener Situation nichts anderes einfällt als bestenfalls eine plumpe Grob-
heit. Man könnte diese kleine Cafehauswelt mit ihren wichtigtuerischen Originalen
auf billige Art und Weise in einer Anzahl Typen klassifizieren, aber es verlohnt
nicht der Mühe.
*
Es gibt, im Gegensatz zum Schach, eine ganz alberne Beschäftigung, die des
Patience-Legens. Die Patience bezweckt, ein oder zwei gut durcheinandergemischte
Kartenspiele nach verschiedenen Methoden wieder zu ordnen. Aber dabei denkt
man sich etwas. Beispielsweise: Ach, wenn doch die Tante Emilie endlich der
Schlag rührte ! — Geht die Patience auf, so geht der Wunsch in Erfüllung, und die
Tante Emilie rührt der Schlag. Geht sie nicht auf, so legt man so lange weiter,
bis sie schließlich doch einmal aufgeht, wobei zu hoffen ist, daß dann der Wunsch
betreffs der Tante Emilie doch noch in Erfüllung geht.
Napoleon auf Sankt Helena hat Patiencen gelegt. Vielleicht hat er sich dabei
etwas gedacht. Vielleicht hat er gewünscht, die Welt noch einmal in seine Faust
zu bekommen. Vielleicht sind seine Patiencen nicht aufgegangen, weil nichts
daraus geworden ist.
Die blöde Patience ist so etwas wie das Bekenntnis: Es ist so wie so nicht
mehr viel los. — Das geistvolle Schach ist so etwas wie die Hochstapelei:
Ich bin wer!

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