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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Upton Sinclair: So macht man Dollars.
Roman. (Malik-Verlag, Berlin.)
Die Versprechung, die im deutschen
Titel dieses Buches (der englische ist
„Montain City") ausgedrückt wird,
wird auch von dem Verfasser gehalten.
Ein schönes, ehrliches, tief menschliches
Werk, das uns mit kaum maskiertem
Abscheu erzählt, wie man Dollars
macht. Ein erschütterndes Bild, ein
babylonischer Turm von „gesetzmäßi-
gen" Verbrechen gegen das alles, was
die Menschheit in ihrer historischen
Entwicklung für heilig erklärt hat. Der
Verfasser sagt und zeigt uns: der Held
seines Buches, ein Durchschnittsmensch,
ist keine Ausnahme, kein „Napoleon
der Finanzen", wie er später, nachdem
er seine Millionen gemacht hat, genannt
wurde. Das ist das Erstaunliche und
künstlerisch Wertvollste an diesem Buch.
Dymow
Ernest Hemingway: In unserer Zeit.
Erzählungen (Rowohlt, Berlin).
Vielleicht darf man noch einmal, auch
im Sinne eines Geburtstagsgrußes an
Max Liebermann, sein berühmtes Wort
zitieren: Zeichnen ist Weglassen. Es
ist das Wort, das auf die Kurzgeschich-
ten des Hemingway paßt. Dieser männ-
liche Mann, der seltsamerweise als
Literat im Cafe du Döme begann, hat
sich, wie man weiß, zu einem Dichter
der harten Wahrheiten entwickelt, zu
einem Ansager des gewöhnlichen
Lebens. Und seine Kunst ist die schein-
bar unbeteiligte Kühle des Vortrags,
der die Patina des Gefühls von der
Oberfläche der Dinge abzieht, daß sie
nun unverwischt dastehen, aber nicht
weniger erschütternd durch ihr ein-
faches Da-Sein. Das Ergebnis dieser
vollkommenen Zurückhaltung sind Ge-
schichten ohne Pointen, die man er-
staunt und beunruhigt liest, bis zu dem
Punkt, wo sie ins Leere abfallen wie
ein scharfrandiges Gebirgsplateau. Die
mottohaft vorangestellten Anekdoten
enträtseln sie nicht. Andere enthalten
geschlossene Schicksale, ergreifend in
der abgekürzten Form ihrer Auf-
zeichnung. Ein kleines Meisterwerk
dieser Art ist: „Eine sehr kurze Ge-
schichte", die Keimzelle des inzwischen
berühmt gewordenen Kriegsromans „In
einem andern Land". W.

Theodor Dreiser über sich selbst.
Jugend — Das Buch über mich selbst
(bei Paul Zsolnay erschienen) hat die
äußere Eigenschaft der Dreiserschen
Bücher: es ist dick. Und die innere
Eigenschaft der Dreiserschen Bücher: bei
einer für Amerika erstaunlich unschnell-
lebigen Breite die belangvollen und be-
langlosen Geschehnisse mit gleichmäßig
tiefem epischen Atem zu erzählen.
Diese Erinnerungen eines Realisten, der
sich einen Romantiker nennt, zeichnen
den deutschen, aus Mayen an der
Mosel stammenden Vater, die ob ihrer
Liebesheirat aus einer pennsylvanischen
Farm verstoßene Mutter, eine zahl-
reiche Nachkommenschaft und die zer-
fahrene Ehe. Da ist Unbefangenheit,
Triebhaftigkeit, Leichtsinn, zuweilen
Laster und niemals Führung. Da ist
das aufstrebende Chicago der neun-
ziger Jahre, Theodor mittendrin,
den der Wirtschaftskampf als zu zart
alle Daumenlang auf der Straße aus-
setzt. Merkwürdig wurzellos und ziel-
los treibend sind die Allüren der
Dreiser-Familie, die jedoch einen star-
ken Geruch vom Lande U. S. A. geben.
Das alles ist recht anschaulich und in-
struktiv gesagt, aber irgendwo lasch.
Auch Casanova und die Gräfin Revent-
low waren vorurteilslos, jedoch lapidar.
Und es ist paradox, daß grade das
Land mit dem Campbell-Tempo uns
als seine literarischen Novitäten Bücher
vom wohlbeleibtesten Format schickt.
Marieluise Fleißer
Felix Salten: Fünf Minuten Amerika.
(Zsolnay, Berlin-Wien).
Das Motto dieser Sammlung schneller
amerikanischer Eindrücke ist der schöne
Satz des guten Genießers Felix Salten:
„Mit den Augen, das ist die einzige
Manier, in der ich kaum leugnen kann
ein unverbesserlicher Säufer zu sein."
Zum Unterschied von vielen Amerika-
fahrern gibt dieser nicht vor, die Seele
des weiten Landes nun endgültig ent-
deckt zu haben. Seine schlichten und
frischen Reiseblätter enthalten gleich-
wohl eine Reihe treffender und an-
mutiger Formulierungen und auch
manche erfreuliche Neuigkeit, wie etwa
die Feststellung, daß es ein „amerika-
nisches Tempo" nicht gibt, wenigstens
nicht in Amerika. —r.

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