Es gibt zwischen diesen beiden Polen des Nordens eine Übergangssphäre, die
schwer zu definieren, außerordentlich weit nach oben und unten greift; es ist die
Stufe, auf der Arbeitslosigkeit, ungestilltes Fernweh, Lebensangst, natürliche
Hemmungslosigkeit zum Schicksal werden können; die Stufe, wo der Prole-
tarier Gefahr läuft, hinabzusinken in die eigentliche Unterwelt, die er ebenso
verachtet wie der Bürger. Eine Rauferei, die in eine Stecherei ausartet und, als
Totschlag bestraft, das Vorleben belastet, kann in diesem Falle genügen; und
Schlägereien sind, auch ohne die politische Zuspitzung der letzten Monate, auch
ohne die gärende Stimmung der großen Arbeitslosigkeit, bei dem ausgespro-
chenen Mischvolk dieser Gegend häufig. (In die Augen springendes Beispiel die
Furcht vor dem „Polackeneck", dort sind die Kneipen als besonders gefährlich
bekannt.) Die Schläger überhaupt bilden eine besondere Gruppe, sie gehören
durchaus nicht immer zu Verbrecherkreisen, oft sind es Arbeiter, die durch Jahre
hindurch wegen ihrer Raufereien, ihres Jähzorns dem Gericht bekannt sind; es
gibt bestimmte Gegenden, in denen sie nachts die Straße unsicher machen, sie
repräsentieren eine der wesentlichsten Zwischenstufen in der Entwicklung des
abgeglittenen Proletariers zum Unterweltmenschen.
Hauptsächlich sind es die Tanzfeste der großen und kleinen Verbrecher-
vereine, die „Ludenbälle", die als Sensation des Nordens bezeichnet werden
können. Freilich nur für eingeweihte Kreise; der klassenbewußte Proletarier
steht diesem Treiben fern. Mit der ganzen Verachtung des Darüberstehenden, ja
mit dem Haß dessen, der nicht verwechselt werden will, lehnt er diese Feste und
alles was damit zusammenhängt ab. Wer nun Orgien erwartet, wird enttäuscht
sein, denn so wie der Anlaß dieser Veranstaltungen ein durchaus bürgerlicher
ist (Fastnacht, Frühlingsfest, Himmelfahrts-Herrenpartie, Maifeier, jedoch nicht
aus politischen Gründen), so auch ihre Organisation, der Ablauf ihres Programms,
das Verhalten der Vereine. Es gibt natürlich alle Arten gesellschaftlicher Auf-
machung, ob jedoch „mondän" oder nicht, immer sind es unromantische, nach
kleinlichstem, bürgerlichem Kodex aufgezogene Zusammenkünfte: Entglei-
sungen werden ziemlich brutal gerügt, erst ganz gegen Schluß, bei allgemein
restlos gelockerter Stimmung geschieht einmal etwas, das sich nicht ganz mit
einer bürgerlichen Familienfestlichkeit vereinbaren läßt und meist aus Kon-
flikten infolge des starken Damenmangels entspringt, wobei die wenigen
Damen aktiv auftreten und um die paar verfügbaren Herren streiten.
Unter den Männern lassen sich deutlich zwei Generationen unterscheiden: der
alte, normale, sentimentale Ausbeuter, meist etwas verliebt in seine „Frau", der
Eifersucht nicht nur aus Geschäftsinteresse kennt, — die Jungen, die, vorwiegend
homosexuell oder zumindest bisexuell, möglichst viele Mädchen auf einmal
„laufen lassen", an denen sie wenig oder gar kein Interesse außer einem rein ge-
schäftlichen haben. Sie sind auch weniger gesonnen wie die Alten, bei besonderen
Spezialitäten zu teilen, und keineswegs so sehr darauf eingestellt, mit dem ver-
dienten Geld für das Mädchen mitzusorgen und es zu schützen; treten diese für die
Betreffenden ein, so doch mehr, weil der „Freier" die Zahlung verweigerte,
als aus Zorn über etwaige Brutalitäten. Auch ihre moralische Entrüstung über
Beleidigungen u. dgl. ist eher ein Trick, etwa noch mehr herauszuschlagen.
Die beiden Generationen stehen sich ziemlich kritisch gegenüber, und gern
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schwer zu definieren, außerordentlich weit nach oben und unten greift; es ist die
Stufe, auf der Arbeitslosigkeit, ungestilltes Fernweh, Lebensangst, natürliche
Hemmungslosigkeit zum Schicksal werden können; die Stufe, wo der Prole-
tarier Gefahr läuft, hinabzusinken in die eigentliche Unterwelt, die er ebenso
verachtet wie der Bürger. Eine Rauferei, die in eine Stecherei ausartet und, als
Totschlag bestraft, das Vorleben belastet, kann in diesem Falle genügen; und
Schlägereien sind, auch ohne die politische Zuspitzung der letzten Monate, auch
ohne die gärende Stimmung der großen Arbeitslosigkeit, bei dem ausgespro-
chenen Mischvolk dieser Gegend häufig. (In die Augen springendes Beispiel die
Furcht vor dem „Polackeneck", dort sind die Kneipen als besonders gefährlich
bekannt.) Die Schläger überhaupt bilden eine besondere Gruppe, sie gehören
durchaus nicht immer zu Verbrecherkreisen, oft sind es Arbeiter, die durch Jahre
hindurch wegen ihrer Raufereien, ihres Jähzorns dem Gericht bekannt sind; es
gibt bestimmte Gegenden, in denen sie nachts die Straße unsicher machen, sie
repräsentieren eine der wesentlichsten Zwischenstufen in der Entwicklung des
abgeglittenen Proletariers zum Unterweltmenschen.
Hauptsächlich sind es die Tanzfeste der großen und kleinen Verbrecher-
vereine, die „Ludenbälle", die als Sensation des Nordens bezeichnet werden
können. Freilich nur für eingeweihte Kreise; der klassenbewußte Proletarier
steht diesem Treiben fern. Mit der ganzen Verachtung des Darüberstehenden, ja
mit dem Haß dessen, der nicht verwechselt werden will, lehnt er diese Feste und
alles was damit zusammenhängt ab. Wer nun Orgien erwartet, wird enttäuscht
sein, denn so wie der Anlaß dieser Veranstaltungen ein durchaus bürgerlicher
ist (Fastnacht, Frühlingsfest, Himmelfahrts-Herrenpartie, Maifeier, jedoch nicht
aus politischen Gründen), so auch ihre Organisation, der Ablauf ihres Programms,
das Verhalten der Vereine. Es gibt natürlich alle Arten gesellschaftlicher Auf-
machung, ob jedoch „mondän" oder nicht, immer sind es unromantische, nach
kleinlichstem, bürgerlichem Kodex aufgezogene Zusammenkünfte: Entglei-
sungen werden ziemlich brutal gerügt, erst ganz gegen Schluß, bei allgemein
restlos gelockerter Stimmung geschieht einmal etwas, das sich nicht ganz mit
einer bürgerlichen Familienfestlichkeit vereinbaren läßt und meist aus Kon-
flikten infolge des starken Damenmangels entspringt, wobei die wenigen
Damen aktiv auftreten und um die paar verfügbaren Herren streiten.
Unter den Männern lassen sich deutlich zwei Generationen unterscheiden: der
alte, normale, sentimentale Ausbeuter, meist etwas verliebt in seine „Frau", der
Eifersucht nicht nur aus Geschäftsinteresse kennt, — die Jungen, die, vorwiegend
homosexuell oder zumindest bisexuell, möglichst viele Mädchen auf einmal
„laufen lassen", an denen sie wenig oder gar kein Interesse außer einem rein ge-
schäftlichen haben. Sie sind auch weniger gesonnen wie die Alten, bei besonderen
Spezialitäten zu teilen, und keineswegs so sehr darauf eingestellt, mit dem ver-
dienten Geld für das Mädchen mitzusorgen und es zu schützen; treten diese für die
Betreffenden ein, so doch mehr, weil der „Freier" die Zahlung verweigerte,
als aus Zorn über etwaige Brutalitäten. Auch ihre moralische Entrüstung über
Beleidigungen u. dgl. ist eher ein Trick, etwa noch mehr herauszuschlagen.
Die beiden Generationen stehen sich ziemlich kritisch gegenüber, und gern
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