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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Frank, Bruno: Der Zug nach München
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0940

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Der Zug nach München
Von
Bruno Frank

Meine verehrten Herren, lassen Sie mich Ihre Frage* ganz kurz und ganz
subjektiv beantworten.
Ich bin als sehr junger Student nach München gekommen und wußte nach der
ersten Woche: hier ist die Heimat meines Lebens. So viel anderes Pflaster ich
auch unter den Füßen gespürt habe, ganz von selbst sind sie immer nach dieser
Stadt und zur oberbayrischen Landschaft zurückgekehrt.
Warum ist es mir so ergangen und vielen? Gewiß ist München eine wunder-
volle Stadt, mit Paris und Venedig gehört es zu den drei Städten Europas, darin
es sich am herrlichsten spaziert. Gewiß vermag man in seiner gleichmütigen
Atmosphäre, in der „die Welt einen sein läßt", besonders unangefochten zu
arbeiten. Aber das allein ist es nicht. Der Hauptgrund ist ganz sicher, daß diese
Stadt und ihr Umland noch ein Volk besitzt — - und zwar eines, das jeder lieben
muß, der es kennt.
Der sogenannte „geistige Mensch" ist eigentlich nirgends daheim. Nicht der
Deutsche nur. Oder glaubt jemand, Shelley sei in seinem England daheim ge-
wesen oder Flaubert unter den Bürgern von Rouen? „I stood among them but
not of them", steht über jedem solchen Leben — und darin wenigstens unter-
scheiden wir Geringen uns nicht von den Göttern. Die Sehnsucht aber nach dem
Dazugehören ist jedem von uns dennoch eingeboren, und inmitten einer alten,
realen Volksgemeinschaft ist eine Illusion davon möglich und schön.
Seit 1500 Jahren oder noch länger sitzen die Altbayern auf ihrem Grund. Nicht
einmal die Völkerwanderung hat sie richtig geschüttelt, und auch der Dreißig-
jährige Krieg hat hier sein Ärgstes nicht getan. Wer dies Volk kennt, der spürt,
daß es ist wie es war. Er wird es lieben müssen in der Eigenwilligkeit seiner Miene
und Tracht, in der ungebrochenen Kraft seiner Rede, in seinem Schmuck- und
Kunstgefühl, aus dem die schönsten Dörfer des Reiches entstanden sind.
Dies Land ist grundkonservativ. Sich bewahren, das war sein Ziel in aller
deutschen Geschichte. Das ist unter Maximilian so gewesen und schon nicht
anders unter Tassilo. Ein ungeheures Beharrungsvermögen steckt in diesem ein-
gesessensten Stamm. Und niemand soll sich, verführt durch seine politische
Konstellation, plötzlich einbilden, Bayern marschiere mit einemmal an der
Spitze der Zivilisation. Das ist nicht sein Ehrgeiz. Dies Bayern ist ein ruhendes
Bauernland, das seine Ruhe verteidigt — es ist ihm beinahe gleich, gegen wen
und was.
München also, dieses geliebteste München, wird niemals ein „Zentrum" sein,
sondern — wie herrlich immer geschmückt unter seinem festlichen Himmel —
ein großer Markt mit der Gelassenheit und unbeirrbaren Traditionalität einer

* München als Arbeitsort und Lebenslandschaft.

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