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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Die letzten Menschen
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0966

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mitten auf der Brücke mußte sie anhalten. Ein Fahrrad lag quer über dem Weg.
Ein Herr pumpte einen Reifen auf.
„In Ihrem Alter könnten Sie wissen, daß Sie hier ein Verkehrshindernis sind",
sagte Susanne ärgerlich. Der Herr unterbrach sich in seinem Geschäft und sah
das Mädchen an, das in Tränen ausbrach. Gemeinsam setzten sie die Reise fort.
Die Wüste lächelte wie jemand, der alles hinter sich hat.
Der Herr, ein Geschichtsprofessor, machte große Handbewegungen. Er zi-
tierte unsterbliche Namen von gutem Klang, die sich in dieser Verlassenheit
wunderlich ausnahmen. Er erklärte Susannen den Ring der ewigen Wiederkehr
und fand rühmende Worte für die Griechen.
Susanne ihrerseits besaß einen weniger umfassenden Begriff von der Mensch-
heit. Ihre größte Bewunderung galt einer Kusine, deren Mann — allerdings be-
trank er sich gern — beim Katasteramt angestellt war. Diese Kusine konnte
sticken wie sonst niemand in Paris, und in der Kunst, eine Masche in einem
Seidenstrumpf aufzunehmen, fand sie nicht ihresgleichen . .. Das Gespräch der
beiden letzten Menschen blieb hinter dem Motor stehen, vibrierte einen Augen-
blick und fiel dann zu Boden, wo es sich mit dem Sand vermischte.
Die Luft preßte ihren feinen Tüll eng um Susannens Körper. „Tut es Ihnen
nicht leid", fragte sie, „zu denken, daß wir die letzten sind?" — „Dem wäre viel-
leicht abzuhelfen", antwortete galant der Herr. Es trat ein peinliches Schweigen
ein, und sie kamen an die Stelle, wo Euphrat und Tigris zusammenfließen. Dort
ging ihnen das Benzin aus.
Sie setzten sich auf den Boden und suchten nach Gesprächsstoffen. Der Herr
war geschickter darin, denn er sagte von Zeit zu Zeit: „Mein gnädiges Fräulein,
daß wir die letzten sind, ist also unser eigener freier Wille."
Soweit waren sie, als Gott zu ihnen trat, mit Mantel und Bart, wie man ihn
kennt; und mit ihm der Engel mit dem Flammenschwert. Sie kamen aus dem
Paradies, das dort in der Nähe liegt.
Susanne erkannte ihn nicht gleich. „Wer sind Sie?" war das erste, was sie zu
ihm sagte.
Gott lächelte freundlich. Er hatte den besten Willen. „Was tut ihr hier?" fragte
er milde, und seine Stimme weckte ein Echo, wo eigentlich keines mehr war.
„Herr", stammelte der Mann, „ich bin Deutscher, lutherisch ... Diese junge
Dame ist Französin, Katholikin . .. Wir . . ."
Gott unterbrach ihn höflich: „Sie werden verzeihen, aber davon verstehe ich
nichts. Ich wollte nur wissen, was Sie hier vor der Tür des Paradieses tun, das
doch gewiß lieblicher und komfortabler ist als dieses Feldlager."
Hier mischte sich der Engel ein: „Herr", sagte er, „ich habe sie vertrieben, weil
sie vom Apfel aßen"
„Von welchem Apfel ?"
Und der Engel mit einem Zwinkern: „Vom Apfel."
Gott lachte herzlich, und da er im Grunde gütig ist, stieß er sie sanft vorwärts
und sagte: „Nun, nun, ich sehe, man hat die Vorschrift allzu streng ausgelegt.
Kommt nur herein, Kinder, es soll nichts geschehen sein."
Und ein neuer Wind verjüngte den Planeten, während Eva eintrat und ihren
Mantel ablegte. (Deutsch von Helene Weyl)

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