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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Michaëlis, Karin: Ermüdungserscheinungen in der Ehe
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#1025

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(New Yorker)
— Ich versteh nicht, Karlchen, warum du diese Hügel nicht leiden kannst.

sammen. Wenn man aufmerksam zuschaut, dann spürt man bald, wie wenige Männer
und Frauen einander riechen können. Sie benehmen sich, als wünschten sie einander
den baldigen Tod. Während vielleicht doch die eine dem andern gern die Sterne
vom Himmel herunterholen wollte.
Was ist es nun, das diese sonderbare Haßstimmung hervorruft? Zuerst natürlich
die bösen Zeiten. Die verworrenen Zeiten. Aber dazu kommt, daß sie eben zusammen
eingekerkert sind. Der Mann kommt nach Hause, verzweifelt und überarbeitet. Er
möchte Entspannung. Kann es nicht bekommen. Die Frau hat für ihn ihre Sorgen,
ihre Ärgernisse aufgespart. Er bekommt sie als Nachtisch zum kargen Mahl gereicht.
Er schaut seine Frau an. Sieht, als wäre es zum erstenmal, daß sie nicht mehr blüht,
daß sie Falten bekommen hat, daß ihr Äußeres nicht besonders gepflegt ist, daß sie
mit gereizten Bewegungen hantiert, daß sie mit keifender Stimme die Kinder
beschimpft, daß sie gewisse unangenehme, kleine schlechte Gewohnheiten hat. Er
sieht das alles, ihn ekelt. Als ob er nicht genau dieselben Gefühle bei ihr auslöst!
Auch sie hat ja Augen, auch sie hat ja Ohren. Nachsicht, Rücksicht sind Fremdwörter
geworden.
Es war ja immer so unter Eheleuten, daß sie nie darüber schimpften, worüber sie
böse waren. Sie fanden immer andere kleine Ursachen. Aber Streit gab es, und Streit
gibt es. Oder jene fürchterliche Stille, die schlimmer ist als zersplitterte Gläser und
zugeschlagene Türen.
Der Mann hat verschiedene Wege, einen Ablauf zu finden: Er hat seinen Stamm-
tisch, er sucht vielleicht Nirwana im Trinken, er kann sich einschließen und Ruhe
verlangen. Oder er nimmt sich eine käufliche Geliebte! Wie verständlich! Bei ihr
hat er keine Verantwortung, es bedeutet ja seelisch nichts und körperlich kaum mehr
als ein Glas Wein. Dort wird er nicht von Jammer und Klage, von Vorwürfen und
Traurigkeit verfolgt. Jene armen Frauen, die aus ihrem Körper ein Geschäft machen,

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