Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 12.1932

DOI article:
Horschitz-Horst, Annemarie: Die Krise vor 1900 Jahren
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.73728#1129

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die Nachricht von einer hervorragenden Ernte in Nordafrika hielt die Panik
nicht auf; im Gegenteil verschlimmerte die Ankunft einer großen Getreideflotte
aus Ägypten eigentlich nur die Lage der Landwirte und Bauern. Wahnwitziger
Traum wahnsinniger Imperatoren — dieses Weltreich ! Not taten agrarische Schutz-
zölle; erstrebenswertes Ziel war eine auf Italien gestellte, autarkische Wirtschaft.
Der Senat trat zusammen. Der Ernst der Lage förderte ein Maximum ora-
torischer Leistung und ein Minimum praktischer Taten zutage. Die meisten
Senatoren waren reiche Leute und hatten, dem Zwangsinvestierungs-Dekret zu-
folge, selbstverständlich keine Lust zu handeln; andere wieder waren stark ver-
schuldet und konnten nichts tun, ohne den Verdacht des Eigennutzes auf sich
zu ziehen. Man wandte sich in dieser Not an Tiberius — man glaubte, der
Tiefstand der Krise sei erreicht —, und dieser legte von seinem Sommersitz
auf Capri aus ein Sanierungsprogramm vor. Welcher Günstling war hier wohl
am Werk? Wer profitierte? Das kaiserliche Dekret wurde dem hohen Senat und
dann einer gereizten Volksmenge auf dem Forum vorgelesen: Tiberius hob das
Moratorium einfach auf!
Diese Aktion führte eine Hausse in fremden Wertpapieren mit sich. Römische
Bürger, die solche Obligationen kauften, konnten jetzt, falls die Zahlungen nicht
geleistet wurden, den gewöhnlichen Rechtsweg einschlagen.
Das Landwirtschaftsprogramm, das bereits riesige Summen verschlungen hatte,
sollte zurückgestellt werden. Dies setzte der Liquidation weiterer Werte einen
Riegel vor. Es war höchste Zeit. Die Liquidationen hatten bereits monatelang an-
gedauert, seitdem nämlich der Senat die agrarischen Maßnahmen angeordnet hatte.
Tiberius setzte außerdem eine ungeheure Summe zur Ankurbelung der
Wirtschaft aus. Gewisse Bedingungen waren an die Gewährung der riesigen
Anleihe geknüpft. Die Banken sollten das Geld an die notleidendsten Industrien
und Gewerbe leihen, und zwar drei Jahre vollkommen zinslos. Die dafür
geforderte Sicherheit bestand in Grundbesitz, und zwar verlangte man das
Doppelte einer gewöhnlichen Kaution.
Im Handumdrehen belebte sich der Grundstücksmarkt; Land, das man zu
jedem beliebigen Preis geopfert hatte, für das man keinen Käufer hatte finden
können, war über Nacht die Basis für die von allen heiß ersehnte Anleihe ge-
worden. Der Umschwung begann. Private Zinssätze sanken umgehend. Nach
kurzer Zeit brachte Geld wieder nur ein Prozent im Monat. Es gab plötzlich
genug der köstlichen Ware, in manchen Fällen sogar zu niedrigeren Sätzen als
früher. Beruhigende Nachrichten trafen auch aus anderen Finanz-Zentren, wie
Alexandrien, Carthago und Corinth ein. Die Panik legte sich ebenso schnell wie
sie gekommen war.
Selbstverständlich war damals das öffentliche Interesse ausschließlich von
diesen aufregenden Tagesereignissen in Anspruch genommen, Finanz- und
ökonomischen Problemen zugekehrt. Geringere Geschehnisse konnten in dieser
Krisenzeit keine Aufmerksamkeit erwecken. Einer dieser unwichtigeren Vor-
gänge wird in einem amtlichen Bericht aus der Provinz Judäa erwähnt. Es wird
berichtet, daß der römische Gouverneur Pontius Pilatus den Beginn eines jüdisch-
nationalen Aufstandes durch die Kreuzigung der Anführer gleich im Keim
erstickt habe, eines gewissen Jesu und zweier Banditen.

769
 
Annotationen