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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Lania, Leo: Tuchaschewski, der rote Marschall
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#1169

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Lepsius Berenberg

— Warum schießt ihr ? Könnt ihr nicht
bis zum nächsten Krieg warten ?

von hier nach Schweden entkommen;
er wird abgefaßt und in das mecklen-
burgische Gefangenenlager Bad Stuer
strafversetzt. Von hier flüchtet er auf
abenteuerliche Art: Arbeitsdienst ver-
richtende russische Kriegsgefangene
fahren ihn in einem Karren versteckt
zum Lager hinaus und laden ihn in
einer Schuttgrube ab. Nachts brennt
er nach Holland durch. Knapp vor der
holländischen Grenze wird er ver-
haftet. Er verweigert jede nähere Aus-
kunft über seine Person, wird für eine
Nachtprovisorisch in einMannschafts-
lager unweit der Grenze gebracht und
flieht in derselben Nacht noch ein-
mal. Er wird aufgegriffen, identi-
fiziert, in das Gefangenenlager Zorn-
dorf bei Küstrin geschafft. Von hier
versucht er zusammen mit dem fran-
zösischen General Garros zu entflie-
hen. Sie graben einen unterirdischen
Gang — - eine halbe Stunde vor der
Flucht wird das Unternehmen ent-
deckt, und der ewige Ausbrecher
kommt auf Fort 9 der Festung Ingolstadt. Aber Tuchatschewski läßt nicht
locker. Während eines Spaziergangs läuft er seinen Wächtern davon und ent-
kommt den Verfolgern in die Schweiz.
Als der Dreiundzwanzigjährige nach Petrograd zurückkehrt, ist Kerenski
bereits gestürzt, der Rat der Volkskommissare regiert, es gibt keine Offiziere
mehr, nur noch Soldatenräte, das vornehme Leibgarderegiment ist aufgelöst, die
ganze Armee ist in Auflösung, was soll da der junge Leutnant? Der junge Leut-
nant tritt in die bolschewikische Partei ein und wird Inspektor für die Formierung
der Roten Armee. Es war Anfang 1918, der Sturz der Bolschewiki schien eine
Frage von wenigen Wochen, die ehemaligen Offiziere und Beamten beeilten sich
nicht, dem neuen System ihre Dienste anzubieten, und wenn das doch nicht zu
umgehen war, so trat man als „Parteiloser", schlimmstenfalls als „Sympathisie-
render" in den Dienst der neuen Machthaber, ängstlich darauf bedacht, sich nicht
allzusehr zu kompromittieren. Tuchatschewski verschmähte den Weg seiner
Kameraden: der Eintritt in die Partei, das war sein Bündnis mit den Bolschewiki
auf Leben und Tod. Der ehemalige Aristokrat und Gardeleutnant als roter Offizier
und Parteigenosse — nun hatte er im Falle eines Sieges der Gegenrevolution auf
keine Zubilligung mildernder Umstände mehr zu hoffen. So wird Tuchatschewski
einer der fanatischesten und energischesten Offiziere der jungen roten Armee im
Bürgerkrieg.
Aber er ist auch einer der fähigsten und erfolgreichsten. Sämtliche Operationen

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