Existenz, trat eine Stelle in einer Bibliothek an. Es war eine sehr kurze und wenig
erfolgreiche Karriere; vierzehn Tage hielt ich es dort aus. Trotzdem kann ich
bezeugen, daß die verbreitete Vorstellung von dem Leben eines Bibliothekars nicht
der Wirklichkeit entspricht. Die Leute glauben nämlich, so ein Bibliothekar steige
den ganzen lieben Tag lang die Leiter auf und ab wie die Engel in Jakobs Traum,
um auf seinen Tisch geheimnisvolle und beinahe zauberhafte Folianten, in Schweins^
leder gebunden und voll Erkenntnis des Guten und Bösen, zusammenzutragen.
Die Sache sieht aber einigermaßen anders aus; so ein Bibliothekar hat überhaupt
mit Büchern nichts zu tun, höchstens daß er ihr Format abmißt, sie mit Nummern
versieht, und womöglich in Schönschrift ihre Titel abschreibt, etwa so:
Müller, Johannes Gebhardt: Über die Blutlaus, sowie über die Art und Weise
sie zu vertilgen und unsere Obstbäume vor allen Schädlingen zu bewahren, mit be-
sonderer Berücksichtigung des Kreises Kötzschenbroda. 17 S. Eigenverlag Kötzschen-
broda, 1872.
Auf ein anderes Blatt schreibt er:
Blutlaus, Vide Ueber d. Bl. sowie über die Art und Weise sie zu vertilgen usw.
Auf ein drittes Blatt:
Obstbäume. Vide Ueber die Blutlaus usw.
Auf ein viertes Blatt:
Kötzschenbroda. Vide Ueber die Blutlaus usw. mit besonderer Berücksichtigung
des Kreises Kötzschenbroda.
Dann wird alles noch in einige dickleibige Kataloge eingetragen, worauf der
Diener das Buch fortträgt und in ein Regal stellt, wo es niemals mehr heraus^
genommen wird. Das ist nötig, damit das Buch an seinem Platz stehe.
So verfährt man mit öffentlichen Büchern; die häuslichen Bücher dagegen haben
die Eigenschaft, niemals an ihrem Platz zu stehen. Einmal in drei Jahren werde ich
von dem fanatischen Vorsatz befallen, meine Bibliothek in Ordnung zu bringen.
Das macht man so, daß man alle Bücher herauszieht und auf dem Fußboden
aufstapelt, um sie zu sortieren. Dann nimmt man eins heraus, setzt sich auf die Erde
und fängt an zu lesen. Am nächsten Tag nimmt man sich vor, methodisch zu
arbeiten: man beginnt einen Haufen Naturwissenschaft, einen Philosophie, einen
Geschichte und ich weiß nicht, was noch alles zu schichten, wobei man die alte
Erfahrung macht, daß sich die Mehrzahl der Bücher weder in die eine noch in die
andere Gruppe dieser Materien einordnen läßt; überdies merkt man am Abend,
daß man alles durcheinandergebracht hat. Am dritten Tag versucht man, die Bücher
irgendwie nach dem Format zu ordnen; die ganze Sache endet dann so, daß man
die Bücher, wie sie liegen, zusammenpackt und in die Regale stopft, worauf man
wieder auf drei Jahre Ruhe hat.
Was die Anschaffung der Bücher anbelangt, so geschieht das gewöhnlich derart,
daß man bei irgendeinem Buchhändler ein Buch sieht, von dem man sich sagt:
„Das muß ich haben!" Hierauf trägt man es siegreich nach Hause und läßt es einen
Monat lang auf dem Tisch liegen, um es bei der Hand zu haben; dann borgt man
es wahrscheinlich jemand, worauf das Buch spurlos verschwindet. Anscheinend ist
es irgendwo: ich besitze eine ungeheure Bibliothek, die irgendwo ist. Bücher
gehören zu den seltenen Gegenständen, die gewöhnlich die Eigenschaft einer
dunklen Halbexistenz haben: nämlich, daß „sie irgendwo sind". Dazu gehören
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erfolgreiche Karriere; vierzehn Tage hielt ich es dort aus. Trotzdem kann ich
bezeugen, daß die verbreitete Vorstellung von dem Leben eines Bibliothekars nicht
der Wirklichkeit entspricht. Die Leute glauben nämlich, so ein Bibliothekar steige
den ganzen lieben Tag lang die Leiter auf und ab wie die Engel in Jakobs Traum,
um auf seinen Tisch geheimnisvolle und beinahe zauberhafte Folianten, in Schweins^
leder gebunden und voll Erkenntnis des Guten und Bösen, zusammenzutragen.
Die Sache sieht aber einigermaßen anders aus; so ein Bibliothekar hat überhaupt
mit Büchern nichts zu tun, höchstens daß er ihr Format abmißt, sie mit Nummern
versieht, und womöglich in Schönschrift ihre Titel abschreibt, etwa so:
Müller, Johannes Gebhardt: Über die Blutlaus, sowie über die Art und Weise
sie zu vertilgen und unsere Obstbäume vor allen Schädlingen zu bewahren, mit be-
sonderer Berücksichtigung des Kreises Kötzschenbroda. 17 S. Eigenverlag Kötzschen-
broda, 1872.
Auf ein anderes Blatt schreibt er:
Blutlaus, Vide Ueber d. Bl. sowie über die Art und Weise sie zu vertilgen usw.
Auf ein drittes Blatt:
Obstbäume. Vide Ueber die Blutlaus usw.
Auf ein viertes Blatt:
Kötzschenbroda. Vide Ueber die Blutlaus usw. mit besonderer Berücksichtigung
des Kreises Kötzschenbroda.
Dann wird alles noch in einige dickleibige Kataloge eingetragen, worauf der
Diener das Buch fortträgt und in ein Regal stellt, wo es niemals mehr heraus^
genommen wird. Das ist nötig, damit das Buch an seinem Platz stehe.
So verfährt man mit öffentlichen Büchern; die häuslichen Bücher dagegen haben
die Eigenschaft, niemals an ihrem Platz zu stehen. Einmal in drei Jahren werde ich
von dem fanatischen Vorsatz befallen, meine Bibliothek in Ordnung zu bringen.
Das macht man so, daß man alle Bücher herauszieht und auf dem Fußboden
aufstapelt, um sie zu sortieren. Dann nimmt man eins heraus, setzt sich auf die Erde
und fängt an zu lesen. Am nächsten Tag nimmt man sich vor, methodisch zu
arbeiten: man beginnt einen Haufen Naturwissenschaft, einen Philosophie, einen
Geschichte und ich weiß nicht, was noch alles zu schichten, wobei man die alte
Erfahrung macht, daß sich die Mehrzahl der Bücher weder in die eine noch in die
andere Gruppe dieser Materien einordnen läßt; überdies merkt man am Abend,
daß man alles durcheinandergebracht hat. Am dritten Tag versucht man, die Bücher
irgendwie nach dem Format zu ordnen; die ganze Sache endet dann so, daß man
die Bücher, wie sie liegen, zusammenpackt und in die Regale stopft, worauf man
wieder auf drei Jahre Ruhe hat.
Was die Anschaffung der Bücher anbelangt, so geschieht das gewöhnlich derart,
daß man bei irgendeinem Buchhändler ein Buch sieht, von dem man sich sagt:
„Das muß ich haben!" Hierauf trägt man es siegreich nach Hause und läßt es einen
Monat lang auf dem Tisch liegen, um es bei der Hand zu haben; dann borgt man
es wahrscheinlich jemand, worauf das Buch spurlos verschwindet. Anscheinend ist
es irgendwo: ich besitze eine ungeheure Bibliothek, die irgendwo ist. Bücher
gehören zu den seltenen Gegenständen, die gewöhnlich die Eigenschaft einer
dunklen Halbexistenz haben: nämlich, daß „sie irgendwo sind". Dazu gehören
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