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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Roques, Kurt Rüdiger von: Die große Konjunktur der Wünschelrute
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#1285
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Melzers gingen im stillen weiter. In Süddeutschland besonders in Bayern. Es
waren die Entdeckungen und Erfindungen des Benediktinerpaters Cyrillus
Wehrmeister und die des Freiherrn v. Pohl, die immer weitere Kreise interessierten.
Die Berichte gingen von Mund zu Mund, bis sich große Zeitungen des Themas
bemächtigten. Dann kam — Anfang dieses Jahres — das Buch Pohls: Erdstrahlen
als Krankheitserreger. Und mit dem Buch der große Erfolg. Alle Welt war strahlen-
begeistert.
Für Pohl, der ganze Ortschaften mit der Wünschelrute untersuchte und die
Resultate mit der amtlichen Krebsstatistik verglich, wie für die meisten Wünschel-
rutenforscher, steht fest, daß der Krebs durch den Dauerreiz der Erdstrahlen
entstehe. Auch andere Krankheiten chronischer Art, Schlaflosigkeit, Rheuma,
Asthma, sollen die Leute befallen, deren Betten in bestrahlten Bezirken stehen.
Diese Strahlen — scharf abgegrenzt — sollen dem Erdinnern entstammen und,
ohne irgendwelchen Widerstand zu finden, bis in die Wolken vordringen.
Typisch sind darum Erkrankungen von Menschen in Stockwerken übereinander.
Tiere, auch unsere Haustiere, meiden diese „Reizstreifen". Können sie sie nicht
umgehen, wie in Ställen, dann beginnen sie zu kränkeln. Ausnahme: die Katzen.
Sie, wie die Bienen und Ameisen, sollen bestrahlte Orte suchen. Bienenvölker
sollen mehr Honig tragen. (Eigenartiger Nebenbefund: Katzenfell, Ameisen-
und Bienengift sind Volksmittel gegen Rheuma, eines der Leiden, die durch
Strahlen verursacht werden sollen.) Von den Bäumen sind die Eichen am wider-
standsfähigsten gegen Strahlen. Nach dem, was über den Blitzeinschlag gesagt
wurde, wird es also verständlich, wenn der Volksmund rät, beim Gewitter
solle man „vor Eichen weichen".
Aber alle diese Entdeckungen sind noch harmlos gegenüber der Tatsache,
daß man — von gewissen Erfahrungen bei den Untersuchungen mit der Wünschel-
rute ausgehend — „Entstrahlungsapparate" konstruierte, deren Wirkung sich
bis auf Kilometer in die Breite erstrecken soll und in der Höhe wiederum
bis in die Wolken. Herr v. Pohl berichtet, daß seit der Anstellung einer Groß-
entstrahlungsstation im Keller seines Hauses kein Gewitter seine Heimatstadt
mehr gefährdet habe, ja daß beim An- oder Abstellen der Apparatur die Wolken
sich deutlich teilten und — je nachdem — die Gegend suchten oder flohen.
Gleich erstaunlich klingen die Berichte des Wünschelrutenforschers Wehrs
aus Lesum bei Bremen zum Kapitel der „Unglücksstraßen", die auch Pohl schon
in seinem Buch erwähnt. An der Chaussee zwischen Bremen und Bremerhaven
steht der berüchtigte Kilometerstein 23,9. Von der Eröffnung dieser Straße an
(1930) haben sich an dieser Stelle die Autounfälle gehäuft. Über 50 Wagen und
Motorräder sollen verunglückt sein. Eines der Opfer war der Asienforscher
Dr. Trinkler. Wehrs hat die Stelle untersucht und fand starke „Erdstrahlung".
Er baute darauf einen selbstkonstruierten Abschirm-Apparat ein. Seitdem soll
kein Unglücksfall mehr vorgekommen sein, bis auf einen. Hier soll der Wagen
schon schleudernd in den abgeschirmten Bezirk gekommen sein. Sofort nach der
Abstellung des Apparats aber soll wirklich wieder, an dem Kilometerstein selbst,
ein Wagen schwer havariert sein.
Hinter der Wünschelrute steht also der „Entstrahler". (Und hier setzt auch
das Geschäft der Dunkelmänner ein.) Leider bestehen große Meinungsver-

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