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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Weller, Tom: Verkehrsturm für Laineastroloen
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#1292

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bei Übergängen von Planeten über Horizont oder Meridian eines Punkts auf der
Erdoberfläche sind Sache experimenteller Beobachtung (auf die der Astronom
E. M. Winkel in „Astrologie und Naturwissenschaft" Bezug nimmt). Diese Tat-
sachen treten zu der unter dem Namen der Gravitation bekannten gesetzmäßigen
Beziehung der Massen im Weltraum und der allgemeinen Bedeutung der Sonnen-
energie für das Leben. Unser heutiges elektrodynamisches Weltbild ist ein solches
universeller Wechselbeziehungen, des raumzeitlich-energetischen Sichbedingens
aller konkreten Punkte. Das primär durch die Erde bedingte Wesen des Menschen
zeigt sich, wie Hellpach in „Geopsychische Erscheinungen" exakt darlegt, in
allgemeinen psychischen Varianten beeinflußt durch Bodeninhalte, Klima,
physikalische Umweltsbeziehungen der Erde.
Von hier bis zum mystischen Spuk der Straßenastrologen, okkultistischen
Zeitungen und „Institute für Glück und Erfolg", mit dem sich so nüchterne
Geschäfte machen lassen, ist nicht nur ein weiter Weg, sondern eine unüberbrück-
bare Kluft der Methode, der Wissenschaftlichkeit oder Scharlatanerie. Außerdem
liegt das astrologische Problem anders als das der Geophysik. Was hat ein Ge-
stirn, ein physikalisch auf die gesamte Erdmaterie bezogenes Faktum der Himmels-
mechanik, mit den privatesten Vorgängen im Individuum, der emotionellen
Eigenart oder gar mit persönlichen Ereignissen zu tun? In direkt-kausaler Weise
augenscheinlich nichts. Die Astrologie theosophischer Färbung antwortet mit
der Vorsehung, nur tritt an Stelle des Fingers Gottes das abstrakte „Schicksal"
oder persönlich bezogene „Karma" (Voraussetzung: Wiedergeburtslehre), das
sich im Gang der Konstellationen ausdrücken und somit berechenbar sein soll.
Hieraus resultiert die schroffe Ablehnung durch die Naturwissenschaft, die
kausalgenetische Erklärungen verlangt. Bei der Fülle teilweise statistisch er-
härteter astrologischer Erfahrung, bei der Diskrepanz der Gesichtspunkte er-
scheint das Problem als „okkultes". Umgekehrt verwarf die frühmittelalterliche
Kirche ein verstandesmäßiges Errechnen des „unerforschlichen Ratschlusses"
als Ketzerei.
Wo Wahrheit, wo Trug? Wir stehen vor einem Problem, das ohne erkenntnis-
theoretische Stellungnahme zu den Grundfragen des Seins und dem Stande der
Forschung nicht diskutabel ist. Die Aufklärung des 18. Jahrhunderts lehnte auf
dem Glauben fußende Anschauungen ab und schüttete dabei oft das Kind mit
dem Bade aus. Gegenüber dem Schlagwort l'bomme une macbine verfiel das Un-
bewußte und der unmechanische Naturzusammenhang dem Zensurstrich des
Rationalisten, der sich noch heute durch das wissenschaftliche Urteil zieht. In
dieser Welt des mechanischen Materialismus war für die Astrologie kein Platz.
Und als die Romantik, später der mit Hypnotismus, Spiritismus und anderen
Grenzüberschreitungen am Rande der Schulpsychologie gedeihende Okkultismus
auch die Astrologie aufgriff, als dann die Kriegs- und Krisenjahre außer dem
Verfall gewohnter Maßstäbe eine erhöhte Frequenz für die „Schicksalsfrage"
brachten, geschah es mit dilettantischer Auslese des Schutthaufens vergangener
Epochen.
Daher die mehr als stilistische Rückständigkeit in der massenhaft angeschwol-
lenen astrologischen Literatur. Fast durchweg werden dem Leben überalterte
Wertstufen von Gut und Böse, Glück und Unglück zugemessen, Planeten hat man

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