Genealogie der Filmtitel
Von
Richard Wiener
Wer im Laufe eines Jahres die Titel der laufenden Filme aufmerksam verfolgt,
könnte zu der Meinung gelangen, daß hier skrupellose Nachahmung, oder zu-
mindest ein Zug der Mode am Werke sei. Man erinnere sich nur jener Zeit, die uns fast
täglich eine Symphonie, sei es nun eine der Großstadt, der Berge oder der Liebe,
bescherte, worauf alsbald die Rhapsodien auf der Bildfläche erschienen. Die Annahme,
daß hier eine plagiatartige Handlung, oder, sagen wir es milder: eine stilistische Be-
einflussung vorliege; daß man danach gestrebt habe, durch Anwendung eines leise
variierten, gut aufgenommenen Titels ein günstiges Vorurteil für andere Filme zu
schaffen, ist irrig. Was sich hier bemerkbar macht, sind biologische Gesetze. —
Natura non facit
saltus. Sie macht
keine Sprünge. Sie
springt nicht jäh-
lings von Auf Befehl
der Herzogin zur
Symphonie derGroß-
stadt
über,
sondern
geht im
ruhigen
Ent-
wick-
Garretto
für die
freilich
ein
Darwin
noch ge-
funden
lungsgang fort und
läßt auch bei Ent-
stehen von Buch-,
Film- und Operet-
tentiteln jenen un-
veränderlichen Ge-
setzen freien Lauf,
die bei der Entste-
hung von Arten,
Rassen, Familien
und Individuen be-
stimmend und rich-
tunggebend sind.
Hier ebenso wie bei
der Fortpflanzung
organischer Lebe-
wesen findet eine
Art Zuchtwahl statt,
„Madame, der Vulkan Europa
taugt nur noch zum Tanzen!"
werden müßte, wie
andererseits auch
noch ein Gregor
Mendel, der die
Regeln der Verer-
bung ergründen
könnte. Immerhin
aber läßt sich heute
bereits feststellen,
daß Filmtitel zum
Zwecke der Fort-
pflanzung Verbin-
dungen miteinan-
der eingehen und
einzelne wesent-
liche ihrer Elemente
und Eigenschaften
an die Nachkom-
men vererben, wo-
bei sich naturge-
mäß interessante
und entwicklungs-
geschichtlich lehr-
reiche Varianten er-
geben. — Ein Bei-
spiel in Form eines
88
Von
Richard Wiener
Wer im Laufe eines Jahres die Titel der laufenden Filme aufmerksam verfolgt,
könnte zu der Meinung gelangen, daß hier skrupellose Nachahmung, oder zu-
mindest ein Zug der Mode am Werke sei. Man erinnere sich nur jener Zeit, die uns fast
täglich eine Symphonie, sei es nun eine der Großstadt, der Berge oder der Liebe,
bescherte, worauf alsbald die Rhapsodien auf der Bildfläche erschienen. Die Annahme,
daß hier eine plagiatartige Handlung, oder, sagen wir es milder: eine stilistische Be-
einflussung vorliege; daß man danach gestrebt habe, durch Anwendung eines leise
variierten, gut aufgenommenen Titels ein günstiges Vorurteil für andere Filme zu
schaffen, ist irrig. Was sich hier bemerkbar macht, sind biologische Gesetze. —
Natura non facit
saltus. Sie macht
keine Sprünge. Sie
springt nicht jäh-
lings von Auf Befehl
der Herzogin zur
Symphonie derGroß-
stadt
über,
sondern
geht im
ruhigen
Ent-
wick-
Garretto
für die
freilich
ein
Darwin
noch ge-
funden
lungsgang fort und
läßt auch bei Ent-
stehen von Buch-,
Film- und Operet-
tentiteln jenen un-
veränderlichen Ge-
setzen freien Lauf,
die bei der Entste-
hung von Arten,
Rassen, Familien
und Individuen be-
stimmend und rich-
tunggebend sind.
Hier ebenso wie bei
der Fortpflanzung
organischer Lebe-
wesen findet eine
Art Zuchtwahl statt,
„Madame, der Vulkan Europa
taugt nur noch zum Tanzen!"
werden müßte, wie
andererseits auch
noch ein Gregor
Mendel, der die
Regeln der Verer-
bung ergründen
könnte. Immerhin
aber läßt sich heute
bereits feststellen,
daß Filmtitel zum
Zwecke der Fort-
pflanzung Verbin-
dungen miteinan-
der eingehen und
einzelne wesent-
liche ihrer Elemente
und Eigenschaften
an die Nachkom-
men vererben, wo-
bei sich naturge-
mäß interessante
und entwicklungs-
geschichtlich lehr-
reiche Varianten er-
geben. — Ein Bei-
spiel in Form eines
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