„Wirtschaftsführer"
Revision eines Begriffs
Von
Dr. Alfred Schwoner
Kaum jemals standen in Deutschland Unternehmer, Industriebürokraten und
Finanziers so hoch im Kurse wie in der Zeit von etwa 1922 (da die Wehen
des Umsturzes überwunden waren) bis 1930 (dem Beginn der verschärften Krise).
Der Glanz des Feudalismus war erloschen, aber die deutsche Demokratie, der
es an großen Persönlichkeiten mangelte, sehnte sich nach Führern. Politisch
war das Problem nicht zu lösen, aber was war natürlicher, als daß man die Unter-
nehmer als die geborenen Führer der Wirtschaft ansah und ihnen taxfrei den
Titel „Wirtschaftsführer" zuerkannte? Und das war nicht bloß figürlich gemeint.
Man gab ihnen Führerrechte.
Es setzte sich damals die von Rathenau stammende Theorie durch, daß die
Interessen des Unternehmens wichtiger seien als die Interessen der Aktionäre,
denen es gehörte, und man identifizierte die Interessen der Unternehmungen mit
den Interessen der Personen, die an ihrer Spitze standen. Die Praxis der Gerichte
begünstigte alle Maßnahmen, durch welche Vorstand und Verwaltung ihre
Stellung autokratisch und kontrollfrei zu gestalten suchten: die Ausgabe von
Mehrstimm-Aktien, die Verweigerung von Auskünften, die Verwirrung des
Einblicks durch Verschachtelung zahlreicher Gesellschaften.
In den Frühzeiten des Kapitalismus galt der Satz: die Aktionäre seien Lämmer,
so lang alles gut gehe und hohe Dividenden bezahlt würden, sie verwandelten
sich aber in Tiger, wenn keine Dividenden mehr bezahlt würden. In der Periode
des letzten Hochschwungs indes behielten die Aktionäre ihre Lammsgeduld,
auch wenn ihr Unternehmen in Grund und Boden verwaltet worden war. Sie
wagten nicht aufzumucken und nahmen die Brocken an, die ihnen die Verwaltung
oder die beteiligten Banken als Entschädigung unter der Bedingung des Verzichts
auf dem Prozeßwege hinwarfen; denn die wußten, daß sie sonst gar nichts
erhalten würden, und die Verwaltungen wußten es auch und betonten es sogar
in einigen Fällen ausdrücklich. Sie waren die Führer und, wie es eine Zeitlang
schien, Führer, die praktisch keiner Verantwortung unterlagen.
Aber schließlich brachte es wenn auch nicht die Sonne, so doch das böse
Wetter der Krise an den Tag, daß die Interessen der leitenden Persönlichkeiten
keineswegs immer identisch sind mit den Interessen der Unternehmungen, und
daß autokratische und kontrollose Führung sehr leicht nicht nur zu einer fahr-
lässigen, sondern auch zu einer bewußten Schädigung der Unternehmungen führen
kann. Durch das Gedröhne der Zusammenbrüche ist auch die Justiz aus ihrem
Schlaf erweckt worden, und die Kriminalgerichtsbarkeit schreitet nun ein gegen
Verbrechen, die vielleicht nicht so zahlreich geworden wären, wenn die Zivil-
gerichtsbarkeit nicht so lange die Binde einer falschen ökonomischen Auffassung
vor den Augen getragen hätte.
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Revision eines Begriffs
Von
Dr. Alfred Schwoner
Kaum jemals standen in Deutschland Unternehmer, Industriebürokraten und
Finanziers so hoch im Kurse wie in der Zeit von etwa 1922 (da die Wehen
des Umsturzes überwunden waren) bis 1930 (dem Beginn der verschärften Krise).
Der Glanz des Feudalismus war erloschen, aber die deutsche Demokratie, der
es an großen Persönlichkeiten mangelte, sehnte sich nach Führern. Politisch
war das Problem nicht zu lösen, aber was war natürlicher, als daß man die Unter-
nehmer als die geborenen Führer der Wirtschaft ansah und ihnen taxfrei den
Titel „Wirtschaftsführer" zuerkannte? Und das war nicht bloß figürlich gemeint.
Man gab ihnen Führerrechte.
Es setzte sich damals die von Rathenau stammende Theorie durch, daß die
Interessen des Unternehmens wichtiger seien als die Interessen der Aktionäre,
denen es gehörte, und man identifizierte die Interessen der Unternehmungen mit
den Interessen der Personen, die an ihrer Spitze standen. Die Praxis der Gerichte
begünstigte alle Maßnahmen, durch welche Vorstand und Verwaltung ihre
Stellung autokratisch und kontrollfrei zu gestalten suchten: die Ausgabe von
Mehrstimm-Aktien, die Verweigerung von Auskünften, die Verwirrung des
Einblicks durch Verschachtelung zahlreicher Gesellschaften.
In den Frühzeiten des Kapitalismus galt der Satz: die Aktionäre seien Lämmer,
so lang alles gut gehe und hohe Dividenden bezahlt würden, sie verwandelten
sich aber in Tiger, wenn keine Dividenden mehr bezahlt würden. In der Periode
des letzten Hochschwungs indes behielten die Aktionäre ihre Lammsgeduld,
auch wenn ihr Unternehmen in Grund und Boden verwaltet worden war. Sie
wagten nicht aufzumucken und nahmen die Brocken an, die ihnen die Verwaltung
oder die beteiligten Banken als Entschädigung unter der Bedingung des Verzichts
auf dem Prozeßwege hinwarfen; denn die wußten, daß sie sonst gar nichts
erhalten würden, und die Verwaltungen wußten es auch und betonten es sogar
in einigen Fällen ausdrücklich. Sie waren die Führer und, wie es eine Zeitlang
schien, Führer, die praktisch keiner Verantwortung unterlagen.
Aber schließlich brachte es wenn auch nicht die Sonne, so doch das böse
Wetter der Krise an den Tag, daß die Interessen der leitenden Persönlichkeiten
keineswegs immer identisch sind mit den Interessen der Unternehmungen, und
daß autokratische und kontrollose Führung sehr leicht nicht nur zu einer fahr-
lässigen, sondern auch zu einer bewußten Schädigung der Unternehmungen führen
kann. Durch das Gedröhne der Zusammenbrüche ist auch die Justiz aus ihrem
Schlaf erweckt worden, und die Kriminalgerichtsbarkeit schreitet nun ein gegen
Verbrechen, die vielleicht nicht so zahlreich geworden wären, wenn die Zivil-
gerichtsbarkeit nicht so lange die Binde einer falschen ökonomischen Auffassung
vor den Augen getragen hätte.
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