eine in späteren Jahren dankbar empfundene, nützliche Einrichtung —, so blieb
der Tanzunterricht, von einer weltlichen Lehrerin erteilt, sozusagen deutsch-
völkisch orientiert. Hier herrschten Walzer, Ländler, biedermeierisches Menuett
vor. Modernes „Zeug" galt nicht nur als verpönt, sondern auch als verboten.
Im Drange der Zeit und über energische Intervention mehrerer Eltern übten wir
jedoch auch sporadisch den Foxtrott, mußten ihn aber „All right" nennen, womit
dem Verbote Genüge getan schien. Nebenbei bemerkt: Die Schlagertexte kannten
wir zwar alle auswendig, doch verließen sie nur als unverständliches Gesumme
das Gehege unserer Zähne. Tango blieb natürlich den Ferien vorbehalten.
Die Werke klassischer Dichtkunst wurden uns nur in homöopathischen Dosen
verabreicht, mit möglichst wenig Liebe — in den Texten! Da nahmen Märchen
schon einen breiteren Raum ein. Wir spielten sie sogar auf unserer kleinen Haus-
bühne zu festlichen Gelegenheiten. Alles Männliche jedoch verschwand unter
der Gestalt eines „Engels", der sich ja bekanntlich stets durch langwallende
Gewandung auszeichnet. Verirrte sich einmal ein Bruder in ein Theaterstück,
wurde flugs die Rolle in ein Schwesterlein umgedichtet. Erst später im Leben bin
ich darauf gekommen, daß „Wilhelmine Tell" eigentlich mit Fug und Recht
Hosen tragen dürfte.
Daß unser Tagewerk bis auf die Minute genau geregelt war, konnte von uns
nur wohltuend empfunden werden. So vergingen die Stunden und das Schuljahr
wie im Fluge. Das Schönste war die „Recreation", unsere freie Spielzeit. Unsere
Sportbegeisterung war groß und ehrlich. Mit dem Ball in der Hand konnte man
sich doch wenigstens einmal ordentlich austoben. Bei „Schlag-" und „Basketball"
wurden wir unsere jungen Kräfte und Leidenschaften los. Laufen, Springen,
Jauchzen — wie wohl das tat! Dieses Ausleben beim Spiel gab neue Kräfte zu
gesammelt-sittigem Benehmen im Hause. Und so ließen uns denn die guten Mütter
in diesen kurzen Stunden tollen.
Eine unangenehme Unterbrechung war der Sonntagvormittag im Freien, bei
dem es statt Spiel „Kusinenpromenade" gab. Schwestern und Verwandte aus den
verschiedenaltrigen Abteilungen hätten sich da alle Familienneuigkeiten erzählen
und „von Muttern" plauschen sollen. Die meisten hatten sich nicht eben viel
mitzuteilen und schielten voll Neid auf ihre freien Genossinnen, die lustig dem
gewohnten Spiele frönten. Ich fürchte beinahe, mancher Antipathie fürs Leben
wurde da bei dieser Promenade unbeabsichtigt der Grundstein gelegt.
Schnell vergingen so die Jahre. Eines ist sicher: Sorglos und wohlbehütet
lebten wir in dieser alten geräumigen Ritterburg, die als stilles Kloster unsere
jungen Jahre beschützte! Der große Garten war umgeben von einer hohen
Mauer, die niemandem Einblick gewährte, und nur durch eine Lücke gelang uns
manchmal ein sehnsüchtiger Blick ins freie grüne Land. Dahinter lag ja für uns
die „Welt", auf die wir uns freuten und neugierig waren.
Heute weiß ich etwas mehr. Die Welt ist gewiß schön! Damals aber hatten wir
es leichter hinter der Mauer!
Und immer wieder werden sich die kleinen Nachfolgerinnen auf meiner
alten Schulbank in der Stille und Gebundenheit des Klosters nach meiner von
mir schon gewonnenen Freiheit sehnen. Hoffentlich hat aber inzwischen eine neu-
zeitliche Schere ihnen Haar- und Hemdzipfel weggestutzt.
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der Tanzunterricht, von einer weltlichen Lehrerin erteilt, sozusagen deutsch-
völkisch orientiert. Hier herrschten Walzer, Ländler, biedermeierisches Menuett
vor. Modernes „Zeug" galt nicht nur als verpönt, sondern auch als verboten.
Im Drange der Zeit und über energische Intervention mehrerer Eltern übten wir
jedoch auch sporadisch den Foxtrott, mußten ihn aber „All right" nennen, womit
dem Verbote Genüge getan schien. Nebenbei bemerkt: Die Schlagertexte kannten
wir zwar alle auswendig, doch verließen sie nur als unverständliches Gesumme
das Gehege unserer Zähne. Tango blieb natürlich den Ferien vorbehalten.
Die Werke klassischer Dichtkunst wurden uns nur in homöopathischen Dosen
verabreicht, mit möglichst wenig Liebe — in den Texten! Da nahmen Märchen
schon einen breiteren Raum ein. Wir spielten sie sogar auf unserer kleinen Haus-
bühne zu festlichen Gelegenheiten. Alles Männliche jedoch verschwand unter
der Gestalt eines „Engels", der sich ja bekanntlich stets durch langwallende
Gewandung auszeichnet. Verirrte sich einmal ein Bruder in ein Theaterstück,
wurde flugs die Rolle in ein Schwesterlein umgedichtet. Erst später im Leben bin
ich darauf gekommen, daß „Wilhelmine Tell" eigentlich mit Fug und Recht
Hosen tragen dürfte.
Daß unser Tagewerk bis auf die Minute genau geregelt war, konnte von uns
nur wohltuend empfunden werden. So vergingen die Stunden und das Schuljahr
wie im Fluge. Das Schönste war die „Recreation", unsere freie Spielzeit. Unsere
Sportbegeisterung war groß und ehrlich. Mit dem Ball in der Hand konnte man
sich doch wenigstens einmal ordentlich austoben. Bei „Schlag-" und „Basketball"
wurden wir unsere jungen Kräfte und Leidenschaften los. Laufen, Springen,
Jauchzen — wie wohl das tat! Dieses Ausleben beim Spiel gab neue Kräfte zu
gesammelt-sittigem Benehmen im Hause. Und so ließen uns denn die guten Mütter
in diesen kurzen Stunden tollen.
Eine unangenehme Unterbrechung war der Sonntagvormittag im Freien, bei
dem es statt Spiel „Kusinenpromenade" gab. Schwestern und Verwandte aus den
verschiedenaltrigen Abteilungen hätten sich da alle Familienneuigkeiten erzählen
und „von Muttern" plauschen sollen. Die meisten hatten sich nicht eben viel
mitzuteilen und schielten voll Neid auf ihre freien Genossinnen, die lustig dem
gewohnten Spiele frönten. Ich fürchte beinahe, mancher Antipathie fürs Leben
wurde da bei dieser Promenade unbeabsichtigt der Grundstein gelegt.
Schnell vergingen so die Jahre. Eines ist sicher: Sorglos und wohlbehütet
lebten wir in dieser alten geräumigen Ritterburg, die als stilles Kloster unsere
jungen Jahre beschützte! Der große Garten war umgeben von einer hohen
Mauer, die niemandem Einblick gewährte, und nur durch eine Lücke gelang uns
manchmal ein sehnsüchtiger Blick ins freie grüne Land. Dahinter lag ja für uns
die „Welt", auf die wir uns freuten und neugierig waren.
Heute weiß ich etwas mehr. Die Welt ist gewiß schön! Damals aber hatten wir
es leichter hinter der Mauer!
Und immer wieder werden sich die kleinen Nachfolgerinnen auf meiner
alten Schulbank in der Stille und Gebundenheit des Klosters nach meiner von
mir schon gewonnenen Freiheit sehnen. Hoffentlich hat aber inzwischen eine neu-
zeitliche Schere ihnen Haar- und Hemdzipfel weggestutzt.
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