Alexander war, was man einen schönen Mann nennt. Luise glitt ihm federnden
Schrittes bis unter das Tor des Hauses entgegen, und als er ihre Hände küßte,
neigte sie ihm ihren graziösen Lockenkopf und ihr Decollete zu, das wie gewöhn-
lich von einer wogenden Moschuswolke eingehüllt war — was eine zärtliche
Umarmung markierte. Sie wußte nämlich, daß dies der Brauch in Rußland sei,
wenn ein Herr einer Dame die Hand küßt. Und sie wollte nicht anstehen, dem
Zaren auf barbarischem Boden mit den französischen Sitten seiner Hauptstadt
zu huldigen.
Alexander war ein wenig erstaunt über Luisens Liebenswürdigkeit. Jedoch
war er Kavalier genug, sich unmittelbar in seine Rolle zu finden. Beiläufig äußerte
er, daß er keineswegs ein Freund der Repräsentation und des Gepränges sei,
und daß er es vorziehen würde, mit Luise und dem König allein zu plaudern,
um möglichst viel von der Güte der Königin und der Klugheit Sr. Majestät zu
empfangen.
Der erste Abend verging schon „en famille". Luise legte ihr Paradekleid ab,
das Juwelen für über eine Million trug, und schlüpfte in einen leichten, dafür
aber desto reizvolleren und eleganteren Mousselin, der soeben große Mode
geworden war. Auch ihre Haare frisierte sie leichter. Der Kaiser, hierfür um
Erlaubnis gefragt, konnte seinem Entzücken über die Gattin des neuen Freundes
nicht genügend Ausdruck geben.
Die Königin ließ es sich nicht nehmen, dem hohen Gast höchst eigenhändig
den Tee zu bereiten. Und auch darüber hinaus vergingen die vierzehn Tage des
Tilsiter Besuchs in herzlichstem Einvernehmen und freundlichster Bewegung.
Zwischen Luise und ihrem „einzigen Alexander", wie sie ihn bald nannte,
wurde eine aufrichtige Freundschaft geschlossen. Der König war stolz, eine
Gattin zu besitzen, die auf einen Mann wie Alexander solchen Eindruck
machen konnte. Und Luise schätzte sich glücklich, zwischen den beiden Fürsten
eine geistige Brücke geschaffen zu haben, die ihrer Neigung eine Begründung
gab und überdies dem Staat, man wußte nicht wie, von Nutzen sein konnte.
Von Alexander aber berichtete die Gräfin Voß ihrer königlichen Herrin schmun-
zelnd, daß der Unglückliche sterblich verliebt in Ihre Majestät sei.
Die Königin vernahm diese Botschaft mit Haltung, ohne jedoch ein wohl-
gefälliges Lächeln unterdrücken zu können. „Tant pis pour lui", sagte sie,
indem sie die Wimpern senkte. Und dachte, daß der Unglückliche so bedauerns-
wert nicht sei. Liebte sie ihn nicht auch? Un peu, un tres petit peu . . . elle etait
la reine de Prusse . . .
Drei Jahre später, man schrieb den 4. November, war der Zar wieder einmal
bei dem preußischen Königspaar zu Gast gewesen. Diesmal in Potsdam. Er hatte
seine Abreise auf den frühen Morgen des 5. November festgesetzt. Abends
hatten die drei Majestäten zum letztenmal miteinander gespeist, ohne jeden
Hofstaat, formlos, zwanglos. Luise hatte die größtenteils politische Unterhaltung
geführt, die sich natürlich um Napoleon drehte. Sie drängte, glühend vor Eifer,
vorwärts, scheinbar eine Bewegung gewaltsam zurückhaltend, die ihr Gatte nicht
ausgesprochen zu hören verlangte. Alexander sympathisierte mit der leiden-
schaftlichen Frau, wenngleich er ihre Gründe nur ahnte. Jedenfalls schien ihm
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Schrittes bis unter das Tor des Hauses entgegen, und als er ihre Hände küßte,
neigte sie ihm ihren graziösen Lockenkopf und ihr Decollete zu, das wie gewöhn-
lich von einer wogenden Moschuswolke eingehüllt war — was eine zärtliche
Umarmung markierte. Sie wußte nämlich, daß dies der Brauch in Rußland sei,
wenn ein Herr einer Dame die Hand küßt. Und sie wollte nicht anstehen, dem
Zaren auf barbarischem Boden mit den französischen Sitten seiner Hauptstadt
zu huldigen.
Alexander war ein wenig erstaunt über Luisens Liebenswürdigkeit. Jedoch
war er Kavalier genug, sich unmittelbar in seine Rolle zu finden. Beiläufig äußerte
er, daß er keineswegs ein Freund der Repräsentation und des Gepränges sei,
und daß er es vorziehen würde, mit Luise und dem König allein zu plaudern,
um möglichst viel von der Güte der Königin und der Klugheit Sr. Majestät zu
empfangen.
Der erste Abend verging schon „en famille". Luise legte ihr Paradekleid ab,
das Juwelen für über eine Million trug, und schlüpfte in einen leichten, dafür
aber desto reizvolleren und eleganteren Mousselin, der soeben große Mode
geworden war. Auch ihre Haare frisierte sie leichter. Der Kaiser, hierfür um
Erlaubnis gefragt, konnte seinem Entzücken über die Gattin des neuen Freundes
nicht genügend Ausdruck geben.
Die Königin ließ es sich nicht nehmen, dem hohen Gast höchst eigenhändig
den Tee zu bereiten. Und auch darüber hinaus vergingen die vierzehn Tage des
Tilsiter Besuchs in herzlichstem Einvernehmen und freundlichster Bewegung.
Zwischen Luise und ihrem „einzigen Alexander", wie sie ihn bald nannte,
wurde eine aufrichtige Freundschaft geschlossen. Der König war stolz, eine
Gattin zu besitzen, die auf einen Mann wie Alexander solchen Eindruck
machen konnte. Und Luise schätzte sich glücklich, zwischen den beiden Fürsten
eine geistige Brücke geschaffen zu haben, die ihrer Neigung eine Begründung
gab und überdies dem Staat, man wußte nicht wie, von Nutzen sein konnte.
Von Alexander aber berichtete die Gräfin Voß ihrer königlichen Herrin schmun-
zelnd, daß der Unglückliche sterblich verliebt in Ihre Majestät sei.
Die Königin vernahm diese Botschaft mit Haltung, ohne jedoch ein wohl-
gefälliges Lächeln unterdrücken zu können. „Tant pis pour lui", sagte sie,
indem sie die Wimpern senkte. Und dachte, daß der Unglückliche so bedauerns-
wert nicht sei. Liebte sie ihn nicht auch? Un peu, un tres petit peu . . . elle etait
la reine de Prusse . . .
Drei Jahre später, man schrieb den 4. November, war der Zar wieder einmal
bei dem preußischen Königspaar zu Gast gewesen. Diesmal in Potsdam. Er hatte
seine Abreise auf den frühen Morgen des 5. November festgesetzt. Abends
hatten die drei Majestäten zum letztenmal miteinander gespeist, ohne jeden
Hofstaat, formlos, zwanglos. Luise hatte die größtenteils politische Unterhaltung
geführt, die sich natürlich um Napoleon drehte. Sie drängte, glühend vor Eifer,
vorwärts, scheinbar eine Bewegung gewaltsam zurückhaltend, die ihr Gatte nicht
ausgesprochen zu hören verlangte. Alexander sympathisierte mit der leiden-
schaftlichen Frau, wenngleich er ihre Gründe nur ahnte. Jedenfalls schien ihm
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