findig bezeichnet werden kann. Jedenfalls aber war der vierte November, wie
Napoleon es behauptete, tatsächlich ein wichtiges Datum, zunächst weniger in
der Geschichte Preußens als im Leben der Königin.
Luise war unzufrieden mit ihrem Mann. Er war ihr zu romantisch und zu
wenig heldenhaft. Warum hatte er nicht das leidenschaftliche Tempo des Prinzen
Louis Ferdinand? Warum zögerte er gegenüber Alexander, dessen Interesse für
Preußen nicht zuletzt in seiner Neigung zu dessen Königin bestand? Warum
ergriff der Klägliche nicht wenigstens den Zipfel des größeren Schicksals, den
sie, seine Frau, ihm reichte, um sich seiner nicht schämen zu müssen? War dieser
Schwächling überhaupt einer Luise wert, fragte sich die enttäuschte und ver-
bitterte Frau. Wer war sie? Eine Frau von dreißig Jahren, Luise, eine kleine
Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz zwar. Aber gab diese Vergangenheit dem
preußischen König ein ewiges Recht auf sie? Sie hätte ebensowohl Kaiserin
von Rußland werden können.
Allein, es gab in den deutschen Fürstenhäusern nicht den Brauch der Ehe-
scheidung. Es blieb Luise nichts zu tun übrig, als an der Seite dessen auszuharren,
der sie siebzehnjährig erheiratet hatte. Er war gut zu ihr, er liebte sie. Aber
liebte Alexander sie nicht? Liebte sie nicht sogar der Prinz Louis Ferdinand?
Luise war zu jung und zu leidenschaftlich, um über ihrem achtfachen Mutter-
glück bereits zu resignieren. Es mußte etwas geschehen. Nun, der erste Schritt
war getan. Alexander war ihr sicher, mußte ihr sicher bleiben. Um jeden Preis.
Sie würde dem kleinen, schmutzigen Korsen das russische Reich entgegenstellen
und würde sich ihres Thrones und ihres Gatten nicht zu schämen haben.
Napoleon war verärgert über die Wendung der preußischen Königin, die
seit jenem denkwürdigen vierten November aus einer deutschen Hausmutter
eine europäische Monarchin geworden war. Er spottete darüber, daß sie ein
Leibregiment haben wollte, daß sie in den Ministerrat die Nase steckte und daß
sie mit Alexander eine politische Privatkorrespondenz führte. Aber dieser Spott
hatte einen Unterton von ernster Bitterkeit, gar Verdrossenheit. Mag sein, daß
er die Kraft spürte, die aus Luise eine Amazone (so nannte er sie) machte. Mag
sein, daß er ahnte: Hier dilettiert keine Prinzessin in Politik, weil sie zufällig
Thronfolgerin geworden ist, sondern hier rächt sich eine Frau am Leben, die,
obgleich sie ihrem Gatten acht Kinder geboren hat, ungebrochen, unangetastet
dasteht und Forderungen an die ungerechte Welt hat, Ansprüche, die ihr Gatte
nicht zu erfüllen imstande ist, Ansprüche, die sie traumwandlerisch mit der
Leidenschaft Louis Ferdinands oder dem weiten Raum des russischen Reiches zu
befriedigen sich anschickt.
Als Napoleon in Berlin einmarschierte und im Potsdamer Schloß Wohnung
nahm, das von dem Königspaar fluchtartig geräumt worden war, fand er in den
Gemächern der Königin außer Dokumenten, die ihm sagten, wie Luise die
Verträge ihres Gatten mit dem französischen Kaiserreich mißachtet hatte, ein
Bild des russischen Kaisers, und zwischen den Toilettegegenständen und der
Wäsche Staatspapiere, die nach Moschus rochen, dem Lieblingsparfüm der
Königin. Napoleon schätzte keine politischen Frauen. Seine Josephine war ein
unbedeutender Mensch, das wußte er. Aber sie war eine Frau, die ihn bis an
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Napoleon es behauptete, tatsächlich ein wichtiges Datum, zunächst weniger in
der Geschichte Preußens als im Leben der Königin.
Luise war unzufrieden mit ihrem Mann. Er war ihr zu romantisch und zu
wenig heldenhaft. Warum hatte er nicht das leidenschaftliche Tempo des Prinzen
Louis Ferdinand? Warum zögerte er gegenüber Alexander, dessen Interesse für
Preußen nicht zuletzt in seiner Neigung zu dessen Königin bestand? Warum
ergriff der Klägliche nicht wenigstens den Zipfel des größeren Schicksals, den
sie, seine Frau, ihm reichte, um sich seiner nicht schämen zu müssen? War dieser
Schwächling überhaupt einer Luise wert, fragte sich die enttäuschte und ver-
bitterte Frau. Wer war sie? Eine Frau von dreißig Jahren, Luise, eine kleine
Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz zwar. Aber gab diese Vergangenheit dem
preußischen König ein ewiges Recht auf sie? Sie hätte ebensowohl Kaiserin
von Rußland werden können.
Allein, es gab in den deutschen Fürstenhäusern nicht den Brauch der Ehe-
scheidung. Es blieb Luise nichts zu tun übrig, als an der Seite dessen auszuharren,
der sie siebzehnjährig erheiratet hatte. Er war gut zu ihr, er liebte sie. Aber
liebte Alexander sie nicht? Liebte sie nicht sogar der Prinz Louis Ferdinand?
Luise war zu jung und zu leidenschaftlich, um über ihrem achtfachen Mutter-
glück bereits zu resignieren. Es mußte etwas geschehen. Nun, der erste Schritt
war getan. Alexander war ihr sicher, mußte ihr sicher bleiben. Um jeden Preis.
Sie würde dem kleinen, schmutzigen Korsen das russische Reich entgegenstellen
und würde sich ihres Thrones und ihres Gatten nicht zu schämen haben.
Napoleon war verärgert über die Wendung der preußischen Königin, die
seit jenem denkwürdigen vierten November aus einer deutschen Hausmutter
eine europäische Monarchin geworden war. Er spottete darüber, daß sie ein
Leibregiment haben wollte, daß sie in den Ministerrat die Nase steckte und daß
sie mit Alexander eine politische Privatkorrespondenz führte. Aber dieser Spott
hatte einen Unterton von ernster Bitterkeit, gar Verdrossenheit. Mag sein, daß
er die Kraft spürte, die aus Luise eine Amazone (so nannte er sie) machte. Mag
sein, daß er ahnte: Hier dilettiert keine Prinzessin in Politik, weil sie zufällig
Thronfolgerin geworden ist, sondern hier rächt sich eine Frau am Leben, die,
obgleich sie ihrem Gatten acht Kinder geboren hat, ungebrochen, unangetastet
dasteht und Forderungen an die ungerechte Welt hat, Ansprüche, die ihr Gatte
nicht zu erfüllen imstande ist, Ansprüche, die sie traumwandlerisch mit der
Leidenschaft Louis Ferdinands oder dem weiten Raum des russischen Reiches zu
befriedigen sich anschickt.
Als Napoleon in Berlin einmarschierte und im Potsdamer Schloß Wohnung
nahm, das von dem Königspaar fluchtartig geräumt worden war, fand er in den
Gemächern der Königin außer Dokumenten, die ihm sagten, wie Luise die
Verträge ihres Gatten mit dem französischen Kaiserreich mißachtet hatte, ein
Bild des russischen Kaisers, und zwischen den Toilettegegenständen und der
Wäsche Staatspapiere, die nach Moschus rochen, dem Lieblingsparfüm der
Königin. Napoleon schätzte keine politischen Frauen. Seine Josephine war ein
unbedeutender Mensch, das wußte er. Aber sie war eine Frau, die ihn bis an
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