MARGINALIEN
Aus der Mannequin-Schule geplaudert
„Würde man nicht gerne solch eine
Puppe sein, ohne Gefühl, immer auf
ein unsichtbares Ziel zuschreitend, nie
dort angelangt?" fragte die Dame,
30 Jahre alt, in der Mannequinschule.
Ich spreche aber von den wirklichen
Puppen, die Professor A. in Berlin in
Bestellung gibt, ein Mann, der drauf
und dran ist, von Amerika entdeckt zu
werden. Diese Puppen sollen den
Mannequins, deren Schulung der Herr
Professor besorgt, die richtigen Manne-
quinbewegungen und -umgangsformen
beibringen. Ist das so schwer? Der
Pädagoge behauptet es. Er muß es
schließlich wissen. Er hat soviel
Mannequins erzogen, geprüft, daß
man seinen Erzählungen, natürlich
nur insoweit sie amüsant sind, den
Glauben nicht verweigern wird.
Anfangs klingen sie allerdings —
wie die eines empörten Weltverbes-
serers. Aber vielleicht hat er recht.
Da hat man unlängst gehört, daß ein
Mannequin herausgeschmissen werden
mußte, weil sie eine unmögliche Auf-
forderung an ihre Kunden richtete.
Also, das hätte sie von den Puppen
sicherlich nicht gelernt! Zuerst hatte
Herr Professor A. alle möglichen weib-
lichen Lehrer des Charmes an seine
Schule engagiert. Zuerst eine Schau-
spielerin, die aber mengte der Grazie
soviel weibliches Selbstbewußtsein bei,
daß die weniger hübschen Kundinnen
schon unruhig wurden. Die zweite
Lehrerin, eine Tänzerin, lehrte die un-
glücklichen Mannequins bloß auf den
Fußspitzen gehen, was den Eindruck
der Toiletten fast vernichtete. Eine
weitere Lehrerin, eine berühmte Schön-
heit, zeigte den Damen zwar, wie die
Aufmerksamkeit auf sich selbst zu
lenken sei, aber nicht auf die Kleider.
So flüchtete der Leiter der Anstalt
schließlich zum unfühlenden Holz, um
dort zu finden, was er suchte. Viel-
leicht dient es zum bessern Verständnis
dessen, was der Professor wollen kann,
wenn man sich erinnert, daß der eng-
lische Ausdruck für Mannequin eigent-
lich „clothe-horse" heißt, also „Stecken-
pferd für Kleider". Na, es ist schon
etwas Hölzernes dabei. Hundert
Steckenpferde im Jahr bildet der Pro-
fessor aus. Man sagt, daß sie von der
haute couture sehr gern genommen
werden. Allerdings behauptet Herr A.,
daß von 100 Mädchen, die seine Schule
zu frequentieren wünschen, nur 5 über
die Hindernisse seiner Vorprüfung
hinwegkommen. Scheint Herr A....g
sich nicht selbst etwas im Wege zu
stehen? Aber es wird schon eine rich-
tige geschäftliche Erwägung seinem
Vorgehen zugrunde liegen.
Professor A. hat also bewegliche
Puppen, nach welchen er lehrt. Dreißig
Stellungen der Grazie und Schönheit
hat er herausgebracht, die er seinen
Schülerinnen mit Fanatismus ver-
mittelt. Die Damen, die in einem
hemdartigen, peplonartigen Turnanzug
antreten, müssen sich dabei sehr pla-
gen. Es geht wie beim Militär zu. Jedes
Detail der Haltung wird gelehrt, wird
unaufhörlich geübt. Wie die Hände
gehalten werden, was die Hüften zu
tun, zu unterlassen haben, zeigt der
Lehrer an den beweglichen Puppen, die
von Bildhauern verfertigt sind. Die
Damen erlernen, indem sie langsam
schreiten, von einer Pose in die andere
zu fallen. Zum Schluß muß das ohne
sichtbare Anstrengung geschehen, als
ob bloß der Zufall diktierte. Das ver-
mögen sie dann auch sehr lange Zeit
zu tun, ohne zu ermüden. Es sitzt voll-
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Aus der Mannequin-Schule geplaudert
„Würde man nicht gerne solch eine
Puppe sein, ohne Gefühl, immer auf
ein unsichtbares Ziel zuschreitend, nie
dort angelangt?" fragte die Dame,
30 Jahre alt, in der Mannequinschule.
Ich spreche aber von den wirklichen
Puppen, die Professor A. in Berlin in
Bestellung gibt, ein Mann, der drauf
und dran ist, von Amerika entdeckt zu
werden. Diese Puppen sollen den
Mannequins, deren Schulung der Herr
Professor besorgt, die richtigen Manne-
quinbewegungen und -umgangsformen
beibringen. Ist das so schwer? Der
Pädagoge behauptet es. Er muß es
schließlich wissen. Er hat soviel
Mannequins erzogen, geprüft, daß
man seinen Erzählungen, natürlich
nur insoweit sie amüsant sind, den
Glauben nicht verweigern wird.
Anfangs klingen sie allerdings —
wie die eines empörten Weltverbes-
serers. Aber vielleicht hat er recht.
Da hat man unlängst gehört, daß ein
Mannequin herausgeschmissen werden
mußte, weil sie eine unmögliche Auf-
forderung an ihre Kunden richtete.
Also, das hätte sie von den Puppen
sicherlich nicht gelernt! Zuerst hatte
Herr Professor A. alle möglichen weib-
lichen Lehrer des Charmes an seine
Schule engagiert. Zuerst eine Schau-
spielerin, die aber mengte der Grazie
soviel weibliches Selbstbewußtsein bei,
daß die weniger hübschen Kundinnen
schon unruhig wurden. Die zweite
Lehrerin, eine Tänzerin, lehrte die un-
glücklichen Mannequins bloß auf den
Fußspitzen gehen, was den Eindruck
der Toiletten fast vernichtete. Eine
weitere Lehrerin, eine berühmte Schön-
heit, zeigte den Damen zwar, wie die
Aufmerksamkeit auf sich selbst zu
lenken sei, aber nicht auf die Kleider.
So flüchtete der Leiter der Anstalt
schließlich zum unfühlenden Holz, um
dort zu finden, was er suchte. Viel-
leicht dient es zum bessern Verständnis
dessen, was der Professor wollen kann,
wenn man sich erinnert, daß der eng-
lische Ausdruck für Mannequin eigent-
lich „clothe-horse" heißt, also „Stecken-
pferd für Kleider". Na, es ist schon
etwas Hölzernes dabei. Hundert
Steckenpferde im Jahr bildet der Pro-
fessor aus. Man sagt, daß sie von der
haute couture sehr gern genommen
werden. Allerdings behauptet Herr A.,
daß von 100 Mädchen, die seine Schule
zu frequentieren wünschen, nur 5 über
die Hindernisse seiner Vorprüfung
hinwegkommen. Scheint Herr A....g
sich nicht selbst etwas im Wege zu
stehen? Aber es wird schon eine rich-
tige geschäftliche Erwägung seinem
Vorgehen zugrunde liegen.
Professor A. hat also bewegliche
Puppen, nach welchen er lehrt. Dreißig
Stellungen der Grazie und Schönheit
hat er herausgebracht, die er seinen
Schülerinnen mit Fanatismus ver-
mittelt. Die Damen, die in einem
hemdartigen, peplonartigen Turnanzug
antreten, müssen sich dabei sehr pla-
gen. Es geht wie beim Militär zu. Jedes
Detail der Haltung wird gelehrt, wird
unaufhörlich geübt. Wie die Hände
gehalten werden, was die Hüften zu
tun, zu unterlassen haben, zeigt der
Lehrer an den beweglichen Puppen, die
von Bildhauern verfertigt sind. Die
Damen erlernen, indem sie langsam
schreiten, von einer Pose in die andere
zu fallen. Zum Schluß muß das ohne
sichtbare Anstrengung geschehen, als
ob bloß der Zufall diktierte. Das ver-
mögen sie dann auch sehr lange Zeit
zu tun, ohne zu ermüden. Es sitzt voll-
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