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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Fleißer, Marieluise: Schaukampf in Nünberg
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0615

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Schaukampf
in Nürnberg
Von
Marieluise Fleisser
Die Teilnehmer am Wettbewerb halten sich
neben dem Bassin in einem Raum mit
schmalen Kästen auf. Rih stellt die Schuhe in
seinen Kasten und zieht den Schlüssel ab; er hat
die Kappe schon auf, als er von Gustl und Frieda
begrüßt wird. Das wäre noch schöner, wenn sie
ihn nicht aufgesucht hätten. Rih ist aufgeregt.
Man hat ihm heute schon Angst damit gemacht,
daß er gegen den Mann springen muß, der als
einziger Turmspringer von München zu den
Internationalen Wettspielen entsandt wird;
gegen den wird er wohl nicht bestehn. „Vor
den anderen ist mir nicht angst", sagt Rih und
das Herz schlägt ihm im Halse. „Aber wenn er
für die Internationalen kandidiert, werde ich
dagegen nicht aufkommen können."
Der Weltatem fegt über den Springer aus dem
kleinen unbekannten Verein hin, das magische


Van Dahlen

— Aber. Kind, ich merke es doch am
Gewicht, daß Sie heimlich einen Wind-
beutel gegessen haben!

Wort, und schaltet seinen Willen für die nächste halbe Stunde vollständig aus. Gustl weiß,
warum er mitgekommen ist. Das wären die richtigen Methoden, um einen Mann, bevor er an-
fängt, zur Strecke zu bringen. „Das hat man dir absichtlich gesagt, um dich zu entmutigen",
klärt er den unerfahrenen jungen Menschen auf. „Und wenn du dir nachgibst, haben sie erreicht,
was sie wollten." Jetzt steuert ein Ordner auf Gustl los: „Wenn Sie nicht Teilnehmer von der
Konkurrenz sind, müssen Sie diesen Raum verlassen. Der Raum ist nur für die Teilnehmer
bestimmt." — - „Servus, Rih! Wenn du was von uns brauchst, wir stehen am Steg, linke Seite
vor den Kabinen."
Die Schwimmausscheidungen setzen sich in Gang. Sie haben von ihrem Geländer im ersten
Stock eine gute Übersicht. Gustl gibt für Friedas Laienverstand halblaute Bemerkungen hinüber.
Er macht z. B. auf einen aufmerksam, der durch die Wende jedesmal einen ganzen Zug vor seinen
Gegnern spart und dadurch aufholt. Da treibt es Rih in seinem grauen Bademantel wie ein
Irrlicht auf den Steg. An einen Preisrichter soll ein Brief geschrieben worden sein, daß der
internationale Kandidat unter allen Umständen siegen muß und sich in diesem internen Kampf
keine Prügel holen darf. Ja, das wollte er Gustl schnell noch sagen. Wie wenn Gustl alles gut-
machen könnte! Sportklatsch, gegen den der Sportler aus der Provinz nicht immun ist.
„Briefe, daß einer siegen muß, gibt es im Sport überhaupt nicht", sagt Gustl. „Laß dir doch
nicht solche Geschichten erzählen. Jetzt mußt du endgültig Schluß mit dem Grübeln machen.
Alles ausschalten. Dich gegen eine Wand stellen. Tief und ruhig atmen."
Die Springer werden namentlich aufgerufen. Eine Pause entsteht, nachdem der letzte Name
verlesen ist. Niemand ruft „Hier!" Dann tritt einer mit einem Satz aus dem Ankleideraum, ein
stämmig gewachsener Mensch mit rabenschwarzem Haar. „Tarzan", sagt Frieda. „Der ist es",
sagt Gustl gedehnt. „Den kenne ich. Der ist aus dem Wirtsgewerbe. Den halten die reichen
Brauer. Den habe ich einmal mit Luber gesehen, als er noch ganz klein war. Aber bei den Inter-
nationalen hat der nichts zu bestellen. Er müßte sich denn sehr verändert haben."
So giftig kann Riebsand gegen eine unliebsame Erscheinung in seiner Interessensphäre sein.
Die Rivalität des kleinen aufstrebenden Vereins zittert in seiner Stimme. Der Star nimmt das
Ganze wohl mehr von der lässigen Seite. Er läßt sich anmerken, daß er den Betrieb auswendig
kennt und daß er ihm zum Halse heraushängt. Er hat eine beschränkte Schärfe in seinen Augen,

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