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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Huxley, Aldous: Deutscher Prunk und deutsche Askese
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0700

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Dahlern ist eine der Gartenvorstädte von Berlin. Um die Jahreszeit, wenn der
Flieder blüht und alle Kastanienbäume, ist es der angenehmste Ort. Dem, der
von der monumentalen oder trübseligen Häßlichkeit der Innenstadt Berlins
bedrückt ist, erscheint es wahrhaftig als eine Art Paradies. Hier und dort, hinein-
getupft in dieses Vorstadt-Eden, sind einige Dutzend ansehnlicherer Gebäude.
Was mögen sie sein? Schulen vielleicht; aber wo sind die Kinder? Kranken-
häuser? Aber es ist nichts zu sehen von Pflegerinnen, Patienten oder Besuchern.
Klöster? Aber ihre Gärten liegen offen vor dem Auge des Beschauers, nicht um-
mauert; und überdies sind wir in Berlin!
Obgleich die letzte Vermutung falsch ist, ist sie doch noch die treffendste.
Denn diese Kaiser-Wilhelm-Institute für wissenschaftliche Forschungen und ihre
Gegenstücke an andern Orten sind tatsächlich die Klöster der Welt von heute.
Ihre Bewohner leben abgesondert; sie haben entsagt und — wie fast alle Ent-
sagenden — gewonnen. Asketisch, in Armut, mühen sie sich zum größeren Ruhm
der Wahrheit. In bezug auf die große Masse der Menschen ist jedes historische
Zeitalter ein finsteres Mittelalter. Der Lichter gibt es wenige und nur in großen
Zwischenräumen. In der rauhen, drückenden Nacht unseres täglichen Lebens
hüten diese Mönche der Wissenschaft die zarte Flamme uneigennütziger geistiger
Tätigkeit.
Wie sie kämpfen! Mit welch unermüdlichem Eifer! In einem der Klöster von
Dahlem beobachtete ich eine Gruppe von Biologie-Nonnen, die damit beschäftigt
waren, Raupen zu wiegen, zu messen und zu fotografieren. Rund um sie herum,
in Käfigen mit Glaswänden, wimmelte eine potentielle Plage Ägyptens. Nicht weit
davon neigte sich ein Prior des Ordens in der Haltung eines mittelalterlichen
Illuminators von Missalen über sein Doppelmikroskop. Auf der Platte lag ein
Froschei. Mit einer Glasnadel, die so dünn war, daß man ihre Spitze mit bloßem
Auge kaum wahrnehmen konnte, schnitt und pfropfte er. Die Kaulquappe, die
herauskommt, wird wohl zwei Köpfe haben. In der Zelle nebenan studierte eine
Äbtissin, mit der Stoppuhr in der Hand, das Seelenleben von Bienen und Ein-
siedlerkrebsen.
Ich ging fort mit dem Gefühl, daß diese Mönche im großen ganzen ein be-
neidenswertes Los haben. Sie arbeiten für Ziele, deren Wert für sie über jeden
Zweifel erhaben ist, und sie haben wenig oder gar nichts mit andern menschlichen
Wesen und deren allgemein unerfreulichen Angelegenheiten zu tun. Was könnte
befriedigender sein? Andere Menschen mögen die Entdeckungen der Mönche
im praktischen Leben auswerten und sie beispielsweise dazu gebrauchen, Arbeit
zu sparen und damit Arbeitslosigkeit zu vermehren; die Sterblichkeit zu ver-
ringern und auf diese Weise die Bevölkerungsziffer gefährlich zu steigern; Ver-
gnügungsapparate zu erfinden zur Verbreitung von Dummheit und Gemeinheit;
und Todesmaschinen für den Massenmord.
Aber das hat nichts mit den Mönchen der Wissenschaft zu tun. Ihr Ziel ist
allein die Erkenntnis der Natur der Dinge. Wenn die Menschheit jenseits der
Klostermauern gewillt ist, diese Erkenntnis törichten und zerstörenden Zwecken
dienstbar zu machen — um so schlimmer für die Welt. Die Mönche geht das
nichts an. (Deutsch von Herberth E. Herlitschka)

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