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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Aldanov, Mark A.: Was hat der Völkerbund erreicht?
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0710

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Genius loci hier schlechter ist als in den Ministerien und Gesandtschaften vieler
gegenwärtiger Staaten, so erklärt sich das sehr einfach: in den Ministerien wird
nicht von Tugenden gesprochen, oder immerhin viel weniger. So sind hier auch
die Forderungen anderer Art.
Die Fahnen der Armee, die unter dem Kommando von Sir Eric Drummond
steht, sind uns bekannt. Bekannt ist auch das Vokabular. Aber der Geist? Viel-
leicht erscheint diese Betrachtungsweise etwas banal, aber es weht mich von
dieser Gründung die stickige Atmosphäre des Amtsschimmels an. Im Wortschatz
des Völkerbundes wird der Zynismus wahrscheinlich als ärgster innerer Feind
betrachtet — wenn nur dieser ärgste Feind den Völkerbund nicht zugrunde
richtet! Von mancherlei Art können die Betrachtungen sein über die Psychologie
der Völkerbundsangestellten, die im Verlaufe von fünf, sechs, zehn Jahren enorme
Gelder für ihre Genfer Bemühungen erhalten.
Warum sind, in der Tat, alle Gehälter hier so hoch — von denen der Tipp-
fräuleins bis zu dem des Generalsekretärs? Sir Eric Drummond bekam etwa
hundertzwanzigtausend Mark im Jahr, d. h. etwa viermal mehr als der französische
Ministerpräsident oder der deutsche Reichskanzler. Die Höhe der Gehälter wird
gewöhnlich vom Völkerbund damit begründet, daß er hochqualifizierte Kräfte
nötig habe. Vielleicht bedarf er auch seiner. Aber wir haben nicht den geringsten
Grund zur Annahme, daß Sir Eric viermal höher zu qualifizieren gewesen sei als
Herr Tardieu oder Herr Brüning.
Wenn der Völkerbund nicht existierte, wäre Sir Eric Drummond längst eng-
lischer Gesandter irgendwo in Guatemala, und kein Mensch auf der Welt hätte
eine Ahnung von ihm. Jetzt ist er aber eine Weltberühmtheit.
Es ist vorteilhaft, dem Stab des Völkerbundes anzugehören. Es ist noch vor-
teilhafter, ins Haager Tribunal zu kommen. Aber am vorteilhaftesten ist es,
Finanzsachverständiger des Völkerbundes zu sein für Staatsanleihen, die den
armen Staaten, wie etwa Österreich, gewährt werden. Über die Gehälter und
Einnahmen dieser Kommissionäre des Pazifismus kursieren in den Couloirs des
Völkerbundes erstaunliche Geschichten. Die vom Völkerbund organisierten An-
leihen (d. h. unter seiner gnädigen Protektion durch dieselben Bankiers auf-
gelegt, die auch andere Anleihen vermitteln) kamen den Ländern, die ohne sie
nicht auskommen konnten, recht teuer zu stehen.
Im Privatverkehr nennt man es — Gehälter; im innerstaatlichen — Anleihen.
Viele Staaten unterstützten eifrig das Projekt Tardieu. Aber für die Genfer
Unterstützung werden die Rechnungen in Paris präsentiert. Am Quai d'Orsay
zahlt man. Im Palais Bourbon rauft man seine Haare.
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Vielleicht war es immer so? Wahrscheinlich. Auf dem Berliner, dem Wiener
Kongreß gab es vergoldete Uniformen statt Gehröcke. In Genf hat man keinen
Talleyrand und keinen Bismarck. Aber das Durchschnittsniveau, sowohl geistig
wie moralisch, ist weder niedriger noch höher.
Höher geworden sind lediglich unsere Forderungen. Zuviel Versprechungen
und Wechsel sind in Umlauf gesetzt worden. Zuviel ist draufgezahlt worden.
(Deutsch von Woldemar Klein)

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