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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Starke, Ottomar: Der unnütze Schach-Verstand
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0725

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— Jetzt habe ich aber genug von Ihrem ewigen Schach-Matt!

Der unnütze Schach -Verstand

Von
Ottomar Starke
Die Popularität, deren sich die Götzen des Publikums erfreuen, hat mit dem Wert
ihrer Leistungen im allgemeinen recht wenig zu tun, denn sie ist das Resultat
einer Massenpsychose. Auf den Sport angewandt, ist zu sagen, daß die einge-
borenen kriegerischen Instinkte des Menschen sich beim Austragen jeden Kampf-
spiels entflammen, und daß Begeisterung ansteckt wie Gähnen. Im Grunde ge-
nommen ist es höchst gleichgültig, welcher Europäer auf 100 m die schnellsten
Beine hat, wie die Kaffeetante heißt, der die meisten Patiencen aufgehn, und wer
als der beste Schachspieler gilt. An keiner dieser Feststellungen hat die Welt das
mindeste gewonnen.
Aber während der körperlich trainierte Sportler auch privatim nach Bedarf
von seinen Muskeln profitieren kann, ist dem Schachspieler sein schach-trai-
nierter Schach-Verstand über die Grenzen seines Brettes hinaus zu gar nichts
nütze. Am allerwenigsten im sogenannten Rein-Denkerischen. Denn Verstand
und Schach-Verstand sind zweierlei. Schach-Verstand setzt noch lange
keinen wirklichen Verstand voraus, so wenig wie das Schnelldichten den Dichter
voraussetzt. Der Schach-Verstand ist vom Schachbrett und seinen Gesetzen so
unzertrennlich wie Lack von Leim, und nimmt man dem eingefleischten Schach-
Matador das Brett vor der Nase weg, so materialisiert es sich ihm wieder vorm
Kopf. Das reicht bestenfalls für ein paar Blindpartien, aber nicht, wie die Herren
so gern wahr haben möchten, zur Erstellung einer philosophischen Disziplin, denn
es ergeben sich keinerlei fruchtbare Welterkenntnisse.
Solange solch ein Schachspieler nicht mehr sein will als ein Mensch, der auf
vierundsechzig Feldern Neger und Chinesen einander massakrieren läßt, mit ein

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