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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Hergesheimer, Joseph: Das traurige Handwerk Literatur
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0739

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zum Beginn der nächsten empor. Jen-
seits der Fenster meines kleinen Sa-
lons, den ich durch eine geöffnete
Türe erblicken kann, gibt es eine
hübsche Straße mit gepflasterten
Bürgersteigen, mit Bäumen und dem
abwechslungsreichen Getriebe der
Gegend. Im Herbst sind die Blätter
ganz goldglänzend und an Nach-
mittagen von goldenem Sonnenlicht
erfüllt; man kann daran deutlich
erkennen, wie draußen in West
Chester die Welt aussieht — blaue
Täler und grüne Berge und rotes
Laub, ruhige Luft mit dem schwach
beizenden Geruch der Holzfeuer und
dem Duft der Apfelpressen. Ich denke
an diese Schönheit und schreibe
weiter, bis die Dämmerung einbricht,
die Farben verblassen und der Tag
anfängt kalt zu werden.
Im Frühling ist es noch schlimmer:
die Fenster sind offen, und zahllose hei-
tere und lockende Geräusche dringen
ins Haus; die Täler sind weiß von


— Diese Snobs ! Weil sie im Wald sind,
müssen sie lieben !

Blüten, die Bäche schäumen und rauschen, die Dämmerung ist erfüllt vom hellen
hohen Gezwitscher der Rotkehlchen und dem tiefen Quaken der Frösche in den
Wiesen. Die Müdigkeit des Monats Mai liegt in der weichen Luft. Und ich, ich
sitze und schreibe an einem Tisch, der mir zu niedrig ist; mein linker Arm, den
ich stundenlang in derselben Lage halten muß, wird halb gelähmt; die Finger
meiner rechten Hand sind vom langen Führen der Feder ganz steif. Warum ich
mir nie einen höheren Tisch beschafft habe, kann ich nicht ergründen. Seit drei
Jahren bücke ich mich in einer unbequemen und ungeschickten Stellung über
meine Schreiberei. In dem Zimmer, wo ich arbeite, liegt kein Teppich, und der
Tisch rutscht mir unterm Schreiben weg; er gleitet, von meinem Bauch weg-
gedrängt, davon und schließlich bin ich an der Tür angelangt, die zum Salon
führt. Manchmal halte ich ihn auf, ohne es zu wissen, und schleppe ihn zurück,
wo er hingehört; dann fängt er wieder an sich wegzubewegen. Mitten im Fuß-
boden ist eine Messingplatte mit einem Steckkontakt eingelassen, und meist
gelingt es mir durch geschicktes Manövrieren, ein Tischbein daran festzu-
klemmen; dann ist wenigstens eine Stunde lang alles in Ruhe, außer meinen
Gedanken und meiner Hand.
Ich schreibe und folge dem Tisch durch das Zimmer trotz meinen Kopf-
schmerzen und anderen störenden Unpäßlichkeiten; ich schreibe im Winter,
wenn die Heizung versagt und ich vor Kälte und Stillsitzen steif und starr bin,
und im Sommer, wenn es so heiß ist, daß die Tinte auf dem Papier verschwimmt,

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