Alice Garnmann
Der Hutbaum
MARGINALIEN
Die Moden von 1932
Was die deutschen Historiker allzu pompös den „Zeitgeist" nennen, das
ist, glaube ich, nichts als die Mode. Was haben wir augenblicklich für
eine Mode? In was für einer Zeit leben wir? Wie sieht die Bilderserie
aus, die wir für die Zukunftskinos vorbereiten? Und was ist 1932?
Kleider und Mäntel
Man muß sich erst einmal bei den
Schneidern umsehen; denn die haben
das Wort Mode eigentlich gepachtet:
für sie bedeutet es das was man trägt.
Aber die Frau von heute hat keine
Silhouette. Vor dem Krieg habe ich
eine „russische Ballett-Mode" gekannt:
Freude an den endlich wiedergefunde-
nen Farben. Das Ideal der Frauen war
die Scheherezade. Poiret schrieb schwe-
rere Mäntel vor. Seine Memoiren er-
innern uns an märchenhafte Zeiten, in
welchen der Schneider es ablehnte, für
respektlose Kundinnen zu arbeiten, die
nicht bedingungslos an den Meister
glaubten. Man wußte noch nichts von
der Krise. Nach dem Waffenstillstand
war es keine Mode mehr, sondern wurde
zum Stil. Der Flieger war die Richt-
schnur: für die Gar§onnes, das Kunst-
gewerbe, die eiligen Berichte Paul
Morands und die jungen, eigens für
Luxuskarosserien und Pilotensitze flach
gebügelten, jungen Mädchen. Die Frauen
wollen toten Epheben gleichen: der
Triumph Sodoms läßt sie nicht ruhen.
Verkleidung auf allen Linien, kurzes
Haar, flachgedrückter Busen, Röcke bis
zu den Knien. Und nun, von allen
Fesseln befreit, tobten sie los: das war
die Nigger-Epoche.
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