machen — der ganze New Yorker Platz kann es nicht. Wie weit indessen auch
heute noch die amerikanische Wirtschaft sich einfach durch dieses ganz allge-
meine Moratorium aufrecht erhält — wer vermag das zu sagen ?
Die zweite Lehre aus der Krisis ist die folgende: Die Vereinigten Staaten sind
nun nicht mehr ein wirtschaftliches Neuland. Die Wirklichkeit wird sichtbar
hinter den Fabeln, die wahr noch im neunzehnten Jahrhundert, jetzt nur noch
Blendwerk sind. Das Land der Pioniere, das für Jeden Raum, für Jeden eine
„Chance" übrig hatte, ist verschwunden. Ein drakonisches Einwanderungs-
gesetz zusammen mit der Erwerbslosigkeit bewirken, daß seit zwei Jahren mehr
Hände aus dem Kontinent ausgewiesen, als in Ellis Island aufgenommen werden.
Die neue Welt hat sich gegen die Arbeiter Europas abgesperrt, und — dies sei
bemerkt — damit zugleich ein für seine soziale Ruhe notwendiges Ventil aus-
gesetzt. Auch das Spiel des „selfmademan" ist ausgespielt.
Man weist zwar noch auf die paar alten Milliardäre hin, die von unten an-
gefangen haben, auf Rockefeller und Henry Ford, indessen gehören diese Männer
der Vergangenheit an, und was jetzt ans Ruder kommt, ist das Geschlecht der
Söhnchen mit dem Portefeuille. Diese Kaste ist geschlossen. Die letzten, die ihre
Erfolge sich selber verdanken, sind die Bootleggers und dann noch die Politiker.
Soziologisch gesprochen, ist Amerika daran, ein Land von Pensionären, von
Rentiers und Kleinbürgern, wie etwa Frankreich, zu werden. Eine ganz neue
Schicht wächst auf, die auf dem Boden der Pioniere, der Selbstarbeiter nicht
vorkam. Der letzte kalifornische „boom", der seit dem Kriege jährlich hundert-
tausend Menschen nach Los Angeles gezogen hat, ist kein Phänomen sozialer
Jugend, ganz im Gegenteil. Nur vielleicht Texas und Oklahoma entwickeln sich
noch schnell, ähnlich wie die Städte des vorigen Jahrhunderts „gleich Pilzen"
aus dem Boden schießend. Jene kalifornischen Einwanderer sind keine Urwald-
fäller, es sind schlichte Landleute und Ladenbesitzer aus dem mittleren Westen,
die das ihre zurückgelegt haben und jetzt ihre alten Knochen an der Sonne des
Südens wärmen wollen. Immerhin ist dieses Los Angeles mit seinen Kinos und
seinem Petroleum noch ein aufstrebender Bezirk. Die alten Industriestädte des
Ostens aber sind alle verkalkt, unheilbar dekadent geworden. Ganz Neuengland
ist derart krank, vielleicht mehr als das alte England selber, — und beide leiden
an den gleichen Übeln: Überalterung des Personals, Routine, Entferntsein von
den Rohstoffen, und Wettbewerb einer jungen Industrie. Die Bezirke von Boston,
Lowell, Fall Rives, New Bedford, einst mächtige Textilzentren, sind seit nahezu
zehn Jahren hinsterbende Städte. Ihre Fabriken sind in den Süden abgewandert,
wo die Arbeitskraft billiger ist. Mit ihren sechs bis sieben Stockwerke hohen
schweigenden Ruinen, mit den geschlossenen Läden, den Erwerbslosen in ihren
Straßen sind sie ein trauriges Schaustück für den Fremden. Mit ihnen verglichen,
ist Lancashire von einer geradezu wunderbaren Lebenskraft.
Und die, angeblich unermeßlichen, Naturschätze? Der neue Sieg der Vereinig-
ten Staaten über England war großenteils ein Sieg des Öls über die Kohle. In
fünfzehn Jahren aber wird das Petroleum zu versiegen beginnen, und damit
wird ein riesiges Stück Mauer aus dem amerikanischen Bau ausbrechen. Was wird
dann der Kapitalismus dort anfangen ? Was hat er denn bis jetzt angefangen ?
Er hat sich die Kontrolle über die Quellen von Mexiko und Venezuela gesichert,
er wird dann im Inland die eingeführten Rohstoffe zu neuer Ausfuhr veredeln.
Er wird seine Interessensphären schützen durch die zweitgrößte Kriegsflotte der
Welt. Er wird, mit einem Wort, das tun, was England vor ihm gemacht hat!
Vor fünfzig Jahren machten die gesamten gewerblichen Erzeugnisse der Ver-
rAh Gegenüber: Brücke über den Chicago-Fluß (Photo Dr. Richter)
heute noch die amerikanische Wirtschaft sich einfach durch dieses ganz allge-
meine Moratorium aufrecht erhält — wer vermag das zu sagen ?
Die zweite Lehre aus der Krisis ist die folgende: Die Vereinigten Staaten sind
nun nicht mehr ein wirtschaftliches Neuland. Die Wirklichkeit wird sichtbar
hinter den Fabeln, die wahr noch im neunzehnten Jahrhundert, jetzt nur noch
Blendwerk sind. Das Land der Pioniere, das für Jeden Raum, für Jeden eine
„Chance" übrig hatte, ist verschwunden. Ein drakonisches Einwanderungs-
gesetz zusammen mit der Erwerbslosigkeit bewirken, daß seit zwei Jahren mehr
Hände aus dem Kontinent ausgewiesen, als in Ellis Island aufgenommen werden.
Die neue Welt hat sich gegen die Arbeiter Europas abgesperrt, und — dies sei
bemerkt — damit zugleich ein für seine soziale Ruhe notwendiges Ventil aus-
gesetzt. Auch das Spiel des „selfmademan" ist ausgespielt.
Man weist zwar noch auf die paar alten Milliardäre hin, die von unten an-
gefangen haben, auf Rockefeller und Henry Ford, indessen gehören diese Männer
der Vergangenheit an, und was jetzt ans Ruder kommt, ist das Geschlecht der
Söhnchen mit dem Portefeuille. Diese Kaste ist geschlossen. Die letzten, die ihre
Erfolge sich selber verdanken, sind die Bootleggers und dann noch die Politiker.
Soziologisch gesprochen, ist Amerika daran, ein Land von Pensionären, von
Rentiers und Kleinbürgern, wie etwa Frankreich, zu werden. Eine ganz neue
Schicht wächst auf, die auf dem Boden der Pioniere, der Selbstarbeiter nicht
vorkam. Der letzte kalifornische „boom", der seit dem Kriege jährlich hundert-
tausend Menschen nach Los Angeles gezogen hat, ist kein Phänomen sozialer
Jugend, ganz im Gegenteil. Nur vielleicht Texas und Oklahoma entwickeln sich
noch schnell, ähnlich wie die Städte des vorigen Jahrhunderts „gleich Pilzen"
aus dem Boden schießend. Jene kalifornischen Einwanderer sind keine Urwald-
fäller, es sind schlichte Landleute und Ladenbesitzer aus dem mittleren Westen,
die das ihre zurückgelegt haben und jetzt ihre alten Knochen an der Sonne des
Südens wärmen wollen. Immerhin ist dieses Los Angeles mit seinen Kinos und
seinem Petroleum noch ein aufstrebender Bezirk. Die alten Industriestädte des
Ostens aber sind alle verkalkt, unheilbar dekadent geworden. Ganz Neuengland
ist derart krank, vielleicht mehr als das alte England selber, — und beide leiden
an den gleichen Übeln: Überalterung des Personals, Routine, Entferntsein von
den Rohstoffen, und Wettbewerb einer jungen Industrie. Die Bezirke von Boston,
Lowell, Fall Rives, New Bedford, einst mächtige Textilzentren, sind seit nahezu
zehn Jahren hinsterbende Städte. Ihre Fabriken sind in den Süden abgewandert,
wo die Arbeitskraft billiger ist. Mit ihren sechs bis sieben Stockwerke hohen
schweigenden Ruinen, mit den geschlossenen Läden, den Erwerbslosen in ihren
Straßen sind sie ein trauriges Schaustück für den Fremden. Mit ihnen verglichen,
ist Lancashire von einer geradezu wunderbaren Lebenskraft.
Und die, angeblich unermeßlichen, Naturschätze? Der neue Sieg der Vereinig-
ten Staaten über England war großenteils ein Sieg des Öls über die Kohle. In
fünfzehn Jahren aber wird das Petroleum zu versiegen beginnen, und damit
wird ein riesiges Stück Mauer aus dem amerikanischen Bau ausbrechen. Was wird
dann der Kapitalismus dort anfangen ? Was hat er denn bis jetzt angefangen ?
Er hat sich die Kontrolle über die Quellen von Mexiko und Venezuela gesichert,
er wird dann im Inland die eingeführten Rohstoffe zu neuer Ausfuhr veredeln.
Er wird seine Interessensphären schützen durch die zweitgrößte Kriegsflotte der
Welt. Er wird, mit einem Wort, das tun, was England vor ihm gemacht hat!
Vor fünfzig Jahren machten die gesamten gewerblichen Erzeugnisse der Ver-
rAh Gegenüber: Brücke über den Chicago-Fluß (Photo Dr. Richter)