kann der Öffentlichkeit eine Mißgeburt seiner Phantasie aufzwingen, ohne daß ihm
von den anderen Architekten tüchtig die Meinung gesagt wird, und ein Dichter kann
überhaupt nichts drucken lassen, ohne daß die anderen Dichter mit dem Knüppel
dick und schwer über ihn herfallen. Selbst Dramatiker, Filmschauspieler und Poli-
tiker kritisieren sich gegenseitig und zwingen so einander, das Äußerste her-
zugeben. Journalisten keineswegs. Wenn es vorkommt, was selten genug geschieht,
gilt es für unanständig. Liest man die Fachblätter für Journalisten — die es genau so
gibt wie Ärzte für Ärzte —, so bekommt man den Eindruck, daß jeder Zeitungs-
besitzer in den Vereinigten Staaten ein Prominenter von Rang und jeder Propaganda-
chef ein Tausendkünstler ist. Die Redakteure machen nie etwas falsch; sie sind nicht
nur alle Genies, sondern sogar Helden.
Anders steht es mit den Professoren für Journalismus in unseren großen Bildungs-
fabriken und den Redakteursverbänden in den Agrarstaaten. Diese Herren üben eine
sehr strenge Kritik, die keine andere Wirkung hat, als daß der Journalist endlich auf
den Gedanken gekommen ist, es sei an der Zeit, seinen Beruf einer gründlichen Re-
vision zu unterziehen. Vielleicht kommt es einmal dahin, daß er sich wirklich
mit den Problemen, denen er sich gegenübersieht, beschäftigt, ja, sie sogar eines
schönen Tages zu lösen versucht. Lösbar sind sie fast alle; ja, sie können von den
Journalisten gelöst werden, ohne daß sie irgendwelche Moralexperten zu Hilfe rufen.
So etwa das Problem der unrichtigen Meldung. Woran liegt es, daß so viele
falsche Nachrichten in die amerikanischen Zeitungen kommen? Sogar in die besse-
ren? Sind Journalisten, als Stand gesehen, Gewohnheitslügner, ziehen sie das Un-
wahre dem Wahren vor ? Das glaube ich nicht. Eher kommt es daher, daß die Journa-
listen in der Mehrzahl äußerst dumm, sentimental und leichtgläubig sind — daß die
meisten nicht die scharfe Urteilskraft besitzen, die sie zur sachgemäßen Erfüllung
ihrer Pflichten nötig hätten. Man denke nur an die groteske Lähmung, die angesichts
des Orkans von Miami im Jahre 1926 die ganze amerikanische Presse befiel.
Der durchschnittliche amerikanische Journalist glaubt auf höchst naive und auto-
matische Art an alles, was er schwarz auf weiß sieht. Man sollte annehmen, daß seine
tägliche Erfahrung mit dem geschriebenen Wort ihn dagegen mißtrauisch machen
müßte; und er selbst schmeichelt sich auch mit der Überzeugung, daß er dagegen
gefeit sei. In Wahrheit aber frißt er es weit öfter, als er es ablehnt, und zwar um so
begieriger, je unwahrer es ist. Läuft es in Gestalt eines Telegramms ein, so macht er
sofort den Mund auf; kommt es in telegrafischer Form von irgendeinem Presse-
syndikat, so wird es auf der Stelle verschluckt. Natürlich will ich damit nicht sagen,
daß alle Redakteure alle Meldungen aller Syndikate bringen; aber wo sie geschickt
aufgemacht sind, und wo es besonders leicht ist, sich zu irren — mit anderen Worten,
wo man sich besonders vorsehen müßte — schluckt er sie in neun Fällen von zehn.
Nun gibt es freilich Fälle, in denen es ebenso wichtig ist, Gerüchte zu bringen wie
Tatsachen, in denen die Leser das Recht haben, zu erfahren, was erzählt, angedroht,
berichtet wird, und nicht nur, was tatsächlich passiert ist. Solche halbgaren und
zweifelhaften Nachrichten sollten zwar gebracht, aber von den Meldungen, die mit
überwältigender Wahrscheinlichkeit richtig sind, deutlich unterschieden werden.
Die meisten europäischen Blätter von Rang machen diesen Unterschied, indem sie
die Quelle der Meldung angeben und nicht selten eine ironische Bemerkung darauf
folgen lassen. Mit anderen Worten, sie bemühen sich, ihre technischen Beschrän-
kungen als Sammler von Nachrichten wieder gutzumachen; sie tun ihr möglichstes und
gestehen es offen ein, wenn es nicht weit her damit ist. Ich bin der Ansicht, daß es
den amerikanischen Zeitungen gar nichts schaden könnte, sich an ihnen ein Beispiel
zu nehmen. (Deutsch von Dora Sophie Kellner)
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von den anderen Architekten tüchtig die Meinung gesagt wird, und ein Dichter kann
überhaupt nichts drucken lassen, ohne daß die anderen Dichter mit dem Knüppel
dick und schwer über ihn herfallen. Selbst Dramatiker, Filmschauspieler und Poli-
tiker kritisieren sich gegenseitig und zwingen so einander, das Äußerste her-
zugeben. Journalisten keineswegs. Wenn es vorkommt, was selten genug geschieht,
gilt es für unanständig. Liest man die Fachblätter für Journalisten — die es genau so
gibt wie Ärzte für Ärzte —, so bekommt man den Eindruck, daß jeder Zeitungs-
besitzer in den Vereinigten Staaten ein Prominenter von Rang und jeder Propaganda-
chef ein Tausendkünstler ist. Die Redakteure machen nie etwas falsch; sie sind nicht
nur alle Genies, sondern sogar Helden.
Anders steht es mit den Professoren für Journalismus in unseren großen Bildungs-
fabriken und den Redakteursverbänden in den Agrarstaaten. Diese Herren üben eine
sehr strenge Kritik, die keine andere Wirkung hat, als daß der Journalist endlich auf
den Gedanken gekommen ist, es sei an der Zeit, seinen Beruf einer gründlichen Re-
vision zu unterziehen. Vielleicht kommt es einmal dahin, daß er sich wirklich
mit den Problemen, denen er sich gegenübersieht, beschäftigt, ja, sie sogar eines
schönen Tages zu lösen versucht. Lösbar sind sie fast alle; ja, sie können von den
Journalisten gelöst werden, ohne daß sie irgendwelche Moralexperten zu Hilfe rufen.
So etwa das Problem der unrichtigen Meldung. Woran liegt es, daß so viele
falsche Nachrichten in die amerikanischen Zeitungen kommen? Sogar in die besse-
ren? Sind Journalisten, als Stand gesehen, Gewohnheitslügner, ziehen sie das Un-
wahre dem Wahren vor ? Das glaube ich nicht. Eher kommt es daher, daß die Journa-
listen in der Mehrzahl äußerst dumm, sentimental und leichtgläubig sind — daß die
meisten nicht die scharfe Urteilskraft besitzen, die sie zur sachgemäßen Erfüllung
ihrer Pflichten nötig hätten. Man denke nur an die groteske Lähmung, die angesichts
des Orkans von Miami im Jahre 1926 die ganze amerikanische Presse befiel.
Der durchschnittliche amerikanische Journalist glaubt auf höchst naive und auto-
matische Art an alles, was er schwarz auf weiß sieht. Man sollte annehmen, daß seine
tägliche Erfahrung mit dem geschriebenen Wort ihn dagegen mißtrauisch machen
müßte; und er selbst schmeichelt sich auch mit der Überzeugung, daß er dagegen
gefeit sei. In Wahrheit aber frißt er es weit öfter, als er es ablehnt, und zwar um so
begieriger, je unwahrer es ist. Läuft es in Gestalt eines Telegramms ein, so macht er
sofort den Mund auf; kommt es in telegrafischer Form von irgendeinem Presse-
syndikat, so wird es auf der Stelle verschluckt. Natürlich will ich damit nicht sagen,
daß alle Redakteure alle Meldungen aller Syndikate bringen; aber wo sie geschickt
aufgemacht sind, und wo es besonders leicht ist, sich zu irren — mit anderen Worten,
wo man sich besonders vorsehen müßte — schluckt er sie in neun Fällen von zehn.
Nun gibt es freilich Fälle, in denen es ebenso wichtig ist, Gerüchte zu bringen wie
Tatsachen, in denen die Leser das Recht haben, zu erfahren, was erzählt, angedroht,
berichtet wird, und nicht nur, was tatsächlich passiert ist. Solche halbgaren und
zweifelhaften Nachrichten sollten zwar gebracht, aber von den Meldungen, die mit
überwältigender Wahrscheinlichkeit richtig sind, deutlich unterschieden werden.
Die meisten europäischen Blätter von Rang machen diesen Unterschied, indem sie
die Quelle der Meldung angeben und nicht selten eine ironische Bemerkung darauf
folgen lassen. Mit anderen Worten, sie bemühen sich, ihre technischen Beschrän-
kungen als Sammler von Nachrichten wieder gutzumachen; sie tun ihr möglichstes und
gestehen es offen ein, wenn es nicht weit her damit ist. Ich bin der Ansicht, daß es
den amerikanischen Zeitungen gar nichts schaden könnte, sich an ihnen ein Beispiel
zu nehmen. (Deutsch von Dora Sophie Kellner)
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