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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Voldemaras, Augustinas: Der Diktator und der Gottesstaat
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0917

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Der Diktator und der Gottesstaat
Von
A. Voldemaras
früherem Ministerpräsidenten Litauens
Tausend unsichtbare Bande fesseln uns an die Vergangenheit. Unsere Blicke
wenden sich mitunter den großen Ereignissen und den hervorragenden histori-
schen Persönlichkeiten zu, um bei ihnen die Antwort zu suchen auf brennende
Fragen, die uns an gewissen Wendepunkten unseres politischen und sozialen
Daseins beschäftigen und bedrücken.
Diese Wahrheit drängt sich uns auf, während wir im neuen Buch Heinrich
Bauers über Cromwell blättern („Oliver Cromwell. Ein Kampf um Freiheit und
Diktatur" von Dr. Heinrich Bauer, Verlag R. Oldenbourg, München). Obwohl der
Verfasser die Sorgen des Tages mit keinem Wort berührt, so sind es doch diese
Sorgen, die seine Stoffwahl beeinflußt haben. Wir durchleben mit ihm eine revo-
lutionäre Epoche, in der die Diktatur ununterbrochen an erster Stelle unter den
Problemen des Tages gestanden hat. Allein Cromwell war nicht bloß ein Diktator,
sondern, wenn Bauer recht hat, zugleich auch der größte Kämpfer für die politischen
und religiösen Freiheiten und für die Souveränität des Volks.
Die These ist geistreich, doch paßt sie schlecht zu den historischen Tatsachen.
Geboren 1599, wurde Cromwell in einer puritanischen Umwelt erzogen. Bis zu
seinem vierzigsten Lebensjahre führt er das einfache und nüchterne Leben eines
Landedelmannes. Ziemlich früh ins Parlament gewählt, konnte er sich dort so gut
wie gar nicht hervortun bis zu dem Augenblick, da der Kampf zwischen dem
Parlament und König Karl I. zum Bürgerkrieg entartete. Nun zeigt sich Cromwell
als klarsichtiger Politiker und militärischer Führer ohnegleichen. Die Niederlage, die
König und Royalisten nach einigen Jahren des Krieges erleiden, ist in erster Linie
Cromwells Werk. Der König sieht sich in der Hand der Sieger, die gern mit ihm zu
einem vernünftigen Ausgleich gelangen möchten, wenn anders solche Ausgleiche in
Bürgerkriegen möglich wären; sie werden zwar versucht, aber sie mißlingen immer.
Gedrängt von der siegreichen Armee, klagt das Parlament König Karl des Hoch-
verrats an. Unter dem Druck der Armee zum Tode verurteilt, wird Karl Stuart im
Jahre 1649 enthauptet. Der Sturz des Königs zieht den Sturz der Monarchie nach
sich. Die revolutionäre Welle fegt auch das Parlament hinweg, so daß England keine
gesetzmäßige Regierung mehr besitzt. Alles hängt nun von der Armee ab, deren
unbestrittener Führer Cromwell ist. Wir halten bei der militärischen Diktatur.
Doch nachdem aufgetrennt wurde, muß wieder genäht werden. Zunächst einmal
beschließt die Armee, daß Cromwell den Titel des Protektors von England, Schott-
land und Irland führen soll. Einige Jahre später bietet ihm das von Cromwell ein-
berufene Parlament die Königskrone an, die sich der Diktator, wenigstens für den
Augenblick, abzulehnen gezwungen sieht. Etwas später, 1658, stirbt er. Es dauert
nicht lange, und die Stuarts werden wieder zurückgerufen und auf den englischen
Thron gesetzt. Die monarchische Restauration, 1660, beginnt mit grausamen
Racheakten. Der tote Diktator wird zum Tod durch Erhängen verurteilt; man
schneidet ihm den Kopf ab. Seinem Schädel bereitet politischer Haß abenteuerliche
Schicksale. Erst in unseren Tagen wird er endgültig begraben.
Seit der Restauration ist Cromwells Gedächtnis verdammt. Man sieht in ihm nur
den Königsmörder und Usurpator. Erst im 19. Jahrhundert findet er mehr Ver-
ständnis und Gerechtigkeit. Überraschenderweise ist es die Dichtung, die ihm am
unparteiischsten naht. Die romantische Bewegung, die eine kleine literarische

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