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Galerie Flechtheim [Contr.]
Der Querschnitt — 12.1932

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Ruhrmann, Carl: Die Feste der Unterwelt
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https://doi.org/10.11588/diglit.73728#0932

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erklärt, daß er eine Masochistin auf halbpart am Umsatz beteilige; ein sehr libe-
rales Angebot, aber er ist allein und verdient nichts, und außerdem zieht so
etwas in Leipzig (!) am meisten.
Wären nicht diese kleinen Gespräche, momentweise nur erfaßbar, man würde
ganz gewiß nicht glauben, auf einem Ball nur für Vorbestrafte zu sein, im Gegen-
satz zu manchen Festen, von denen erzählt wird, daß dazu auch „anständige
Leute" eingeladen würden, um die Stimmung etwas toller zu bekommen; denn
„niemand ist so unmöglich wie die anständigen Frauen" — • dies die allgemeine
Ansicht. An sich ist man freier, macht, weniger gezwungen, in Kleinbürgertum
als die kleinen Vereine; trotzdem, wehe, wenn einer zu auffallend oder zu oft
mit derselben tanzt, johlt oder Krach anfängt — draußen im Auto wird er ver-
boxt, denn, bei aller Liberalität, es geht hier um die Vereinsehre, und als
ein ziemlich deutliches Lied von einer Clique angestimmt wird, ist man zwar
nicht krampfhaft schokiert wie die kleinen Leute, aber doch von der Kühnheit
dieses Ausbruchs überzeugt. Erst gegen Morgen gibt es eine große Schlägerei
unter den Damen um einige Kavaliere, aber man wirft die Streitenden hinaus,
und während draußen die Schupo eingreift, sitzen drinnen die Objekte, um die es
bei dieser Straßenschlacht ging, seelenruhig weiter beim Bier. Ritterlichkeit wäre
der Polizei gegenüber ein allzu großer Luxus.
Daneben gibt es aber auch solidere Vergnügungen, denen der ganze Norden
schlechthin huldigt und anläßlich derer sich für einen Abend die sonst so pein-
lich streng geschiedenen Kasten zusammenfinden. Das ist der Box-Abend der
kleineren Amateurvereine. Auf derselben Bühne mit giftgrüner Waldkulisse, auf
der noch vor Wochen die Zuhälter Theater spielten, ist heute der Ring aufge-
schlagen, und am Vorstandstisch von damals sitzen heute die Punktrichter. Ein
Weltmeisterschaftskampf ist langweilig gegen dieses Katzbalgen unter wärmster
und manchmal sehr aktiver Anteilnahme der Verwandten und Vereinsbrüder.
Blut spritzt, manchmal kracht der Ring zusammen, gerade auf die Punktrichter,
manchmal fliegt einer mit lautem Krach mitten durch die Waldkulisse und ist
verschwunden, während der Sieger kaum imstande ist, seine eigene Kraft und
den glücklichen Zufall zu begreifen. Stolz hockt der Gewinner im Schüler-
match bei der energischen und noch stolzeren Mama, doch wenn er nicht früh
mit nach Hause will, bekommt er trotz offenkundigen Ruhms eine Ohrfeige.
Gelegentliche Sensationen, wie die Seejungfrau oder der Weltmeister im
Klavierspielen, der hundert Stunden hintereinander spielt, sind weniger besucht,
hier fehlt das Geld, und die zahlungsfähigeren Zuhälter fühlen sich derartigen
Freuden gegenüber zu blasierter Zurückhaltung verpflichtet. Dem Arbeiter je-
doch ist das alles zu unsachlich, er will keinesfalls betrogen sein und traut dem
Braten nicht, im Boxverein und bei den Ringern hat er mit seinesgleichen zu tun,
darauf verläßt er sich lieber. Gewiß gibt es da keine eleganten Toiletten, keine
interessanten Gespräche. Die Sportanzüge der Boxer sind ihre besten, sonst
laufen sie ohne Kragen herum, und spießbürgerlich sind sie oft sehr,
sie sind auch nicht organisiert, beschäftigen keine prominenten Rechtsanwälte
zur Wahrung ihrer Interessen (gegenüber den Hehlern) —- aber sie sind die
Zukunft, die rotwangige Zukunft, und ihre Kastenarroganz ist berechtigter
Selbstschutz.

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