ernährt. Mit uns Futuristen entsteht die erste menschliche Küche, d.h. die Kunst
sich zu ernähren; wie alle Künste schließt sie das Plagiat aus und verlangt die
schöpferische Originalität.
Nicht zufällig erscheint dieses Werk in der Weltwirtschaftskrise, deren Ent'
wicklung nicht berechenbar ist; berechenbar dagegen die gefährliche und be'
drückende Panik. Dieser Panik stellen wir eine futuristische Küche entgegen,
d.h. den Optimismus bei Tisch.
Die neuen Notwendigkeiten
Allem Hergebrachten abhold, gehen wir Futuristen dem Beispiel und der Main
nung der Tradition aus dem Wege, um etwas Neues zu erfinden, das alle für irr'
sinnig halten.
Wenn wir auch einräumen, daß schlecht und primitiv genährte Leute in der
Vergangenheit Großes geleistet haben, so halten wir uns doch an die folgende
Wahrheit: man denkt, träumt und handelt gemäß dem, was man ißt und trinkt.
Fragen wir in dieser Beziehung unsere Lippen, unsere Zunge, unseren Gaumen,
unsere Geschmacksnerven, unsere Drüsensekretion, und dringen wir kühn in die
gastronomische Chemie ein.
Wir fühlen die Notwendigkeit zu verhindern, daß der Italiener massig und vier'
schrötig werde, ein plumper und dickhäutiger Sack. Er möge sich statt dessen immer
mehr der behenden, federnden Durchsichtigkeit der Italienerin annähern, diesem
Geschöpf aus Leidenschaft, Zartheit, Helligkeit, Wille, Schwung und heroischer
Kühnheit. Wir wollen bewegliche Körper vorbereiten für die schwebeleichten Alu'
minium^Züge, die die heutigen schweren aus Eisen, Holz und Stahl bald ersetzt
haben werden.
Überzeugt, daß im zu erwartenden Weltbrand der Zukunft das beweglichste
und energiegeladenste Volk Sieger sein wird, wollen wir Futuristen nun auch die
Ernährungsweise festsetzen, die ein immer schwereloseres und schnelleres Leben
ermöglicht.
Wir halten vor allem für notwendig:
a) die Abschaffung der Makkaroni, der „pastasciutta", dieser absurden gastrono'
mischen Religion Italiens. Den Italienern tun die Teigwaren nicht gut. Zum Bei'
spiel passen sie nicht zum lebhaften Geist und zur leidenschaftlichen, großherzigen,
intuitiven Seele der Napolitaner. Diese sind heldenmütige Kämpfer, erleuchtete
Künstler, hinreißende Redner, scharfsinnige Advokaten und ausdauernde Land'
wirte gewesen trotz der Unmenge Teigwaren, die sie täglich in sich hineinstopfen.
Beim Essen derselben entwickeln sie den typisch ironischen und rührseligen Skep'
tizismus, der so oft ihre Begeisterungsfähigkeit untergräbt. Die Makkaroni fesseln
die Italiener mit ihren Mäandern an die langsame Spindel Penelopes und machen
sie schlapp wie Segel ohne Wind. Warum noch immer seinen wuchtigen Klotz den
elektrischen Wellen entgegenstemmen, die der italienische Genius über Ozeane und
Kontinente aussendet, und den Landschaften aus Farben, Formen und Lärm, die
der Bildfunk um die Erde schaukeln läßt? Die Verteidiger der Teigwaren haben
Ketten und Ruinen im Magen, wie Sträflinge und Archäologen;
b) die Abschaffung des Gewichts und der Menge, nach denen die Nahrung
beurteilt und bewertet wird;
Gegenüber: Photo Hans Ludewig
656
sich zu ernähren; wie alle Künste schließt sie das Plagiat aus und verlangt die
schöpferische Originalität.
Nicht zufällig erscheint dieses Werk in der Weltwirtschaftskrise, deren Ent'
wicklung nicht berechenbar ist; berechenbar dagegen die gefährliche und be'
drückende Panik. Dieser Panik stellen wir eine futuristische Küche entgegen,
d.h. den Optimismus bei Tisch.
Die neuen Notwendigkeiten
Allem Hergebrachten abhold, gehen wir Futuristen dem Beispiel und der Main
nung der Tradition aus dem Wege, um etwas Neues zu erfinden, das alle für irr'
sinnig halten.
Wenn wir auch einräumen, daß schlecht und primitiv genährte Leute in der
Vergangenheit Großes geleistet haben, so halten wir uns doch an die folgende
Wahrheit: man denkt, träumt und handelt gemäß dem, was man ißt und trinkt.
Fragen wir in dieser Beziehung unsere Lippen, unsere Zunge, unseren Gaumen,
unsere Geschmacksnerven, unsere Drüsensekretion, und dringen wir kühn in die
gastronomische Chemie ein.
Wir fühlen die Notwendigkeit zu verhindern, daß der Italiener massig und vier'
schrötig werde, ein plumper und dickhäutiger Sack. Er möge sich statt dessen immer
mehr der behenden, federnden Durchsichtigkeit der Italienerin annähern, diesem
Geschöpf aus Leidenschaft, Zartheit, Helligkeit, Wille, Schwung und heroischer
Kühnheit. Wir wollen bewegliche Körper vorbereiten für die schwebeleichten Alu'
minium^Züge, die die heutigen schweren aus Eisen, Holz und Stahl bald ersetzt
haben werden.
Überzeugt, daß im zu erwartenden Weltbrand der Zukunft das beweglichste
und energiegeladenste Volk Sieger sein wird, wollen wir Futuristen nun auch die
Ernährungsweise festsetzen, die ein immer schwereloseres und schnelleres Leben
ermöglicht.
Wir halten vor allem für notwendig:
a) die Abschaffung der Makkaroni, der „pastasciutta", dieser absurden gastrono'
mischen Religion Italiens. Den Italienern tun die Teigwaren nicht gut. Zum Bei'
spiel passen sie nicht zum lebhaften Geist und zur leidenschaftlichen, großherzigen,
intuitiven Seele der Napolitaner. Diese sind heldenmütige Kämpfer, erleuchtete
Künstler, hinreißende Redner, scharfsinnige Advokaten und ausdauernde Land'
wirte gewesen trotz der Unmenge Teigwaren, die sie täglich in sich hineinstopfen.
Beim Essen derselben entwickeln sie den typisch ironischen und rührseligen Skep'
tizismus, der so oft ihre Begeisterungsfähigkeit untergräbt. Die Makkaroni fesseln
die Italiener mit ihren Mäandern an die langsame Spindel Penelopes und machen
sie schlapp wie Segel ohne Wind. Warum noch immer seinen wuchtigen Klotz den
elektrischen Wellen entgegenstemmen, die der italienische Genius über Ozeane und
Kontinente aussendet, und den Landschaften aus Farben, Formen und Lärm, die
der Bildfunk um die Erde schaukeln läßt? Die Verteidiger der Teigwaren haben
Ketten und Ruinen im Magen, wie Sträflinge und Archäologen;
b) die Abschaffung des Gewichts und der Menge, nach denen die Nahrung
beurteilt und bewertet wird;
Gegenüber: Photo Hans Ludewig
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