PICASSO
So fand die eine Entwickelungsreihe, die von Cezanne ausging, —
weit entfernt von seiner Weisheit — im Absolutismus des Subjek-
tiven und (dank des Mangels räumlich-kubischer Gestaltung) in der
flachen Dekoration ein Ende. Bisher war dies das letzte Wort, das die
Franzosen zu sagen hatten, denn es war ein Ausländer, der Cezanne an
seiner Wurzel zu packen und ihn dort zu überwinden versuchte.
Picasso kam mit dem Siegerschritt des spanischen Mystikers. Durch-
glüht von inneren Feuern, zittert seine vornehme, aller Brutalität und
Gemeinheit fremde Seele wie ein angeschlagenes dünnes Glas, und klingt
neue Sensibilität psychischer Erregung. Er stellt die Flammen mysti-
scher Innerlichkeit vor Harlekine, saltimbanques, seltsame Lebensalter
menschlicher Jugend, vor Ausgeworfenes, Armes, Mittelloses. Es handelt
sich da nicht um soziales Sentiment und soziales Pathos, sondern um ein
religiöses Leben. Mysterien der Seele gewinnen Gestus an diesen Armen,
vielleicht weil in ihnen noch Gott umgeht, der alles Reiche und Protzige
verlassen hat. Darum ist ihnen allen die andächtige Frömmigkeit ge-
meinsam. Schon diese frühen Bilder Picassos sagen, daß sein Schaffen
von vornherein ein Nach-außen-setzen innerer Erlebnisse war, daß an
dem Leibe alles seinen Sinn hatte aus der formalen Bildung der Vision,
die trotz aller literarisch ablesbaren, sich vordrängenden Umschleierungen
von Anfang an die Hauptsache war. Aber Picasso kannte niemals (wie
etwa Matisse) die Qual, Modell und Erlebnis in Einklang zu bringen. Er
konnte sich eine Welt schaffen, die gleich weit von der Banalität des nur
Realen und dem im Leeren schwebenden Sentiment entfernt war, eine
Welt, die offenbar darum restlos ausdrückte, was sie sollte, weil sie ge-
schaffen war und nicht abstrahiert von einem Natur gegenstand, verdünnt
zu einem Ornament.
Der Umfang und die Kraft seiner Innerlichkeit offenbart sich in dem
Maße, in dem er jeden Punkt des Körpers, die ganze Bildfläche mit der
gleichen Empfindung hat durchdringen können. Man sagt von der frühen
Zeichnung Picassos nichts, wenn man von einer abstrakten Linie spricht.
Vielmehr vibriert — ganz im Gegensatz zu der kalten Leerheit einer ab-
strakten Linie — kondensiertes, pulsierendes Leben in dem großzügigen
So fand die eine Entwickelungsreihe, die von Cezanne ausging, —
weit entfernt von seiner Weisheit — im Absolutismus des Subjek-
tiven und (dank des Mangels räumlich-kubischer Gestaltung) in der
flachen Dekoration ein Ende. Bisher war dies das letzte Wort, das die
Franzosen zu sagen hatten, denn es war ein Ausländer, der Cezanne an
seiner Wurzel zu packen und ihn dort zu überwinden versuchte.
Picasso kam mit dem Siegerschritt des spanischen Mystikers. Durch-
glüht von inneren Feuern, zittert seine vornehme, aller Brutalität und
Gemeinheit fremde Seele wie ein angeschlagenes dünnes Glas, und klingt
neue Sensibilität psychischer Erregung. Er stellt die Flammen mysti-
scher Innerlichkeit vor Harlekine, saltimbanques, seltsame Lebensalter
menschlicher Jugend, vor Ausgeworfenes, Armes, Mittelloses. Es handelt
sich da nicht um soziales Sentiment und soziales Pathos, sondern um ein
religiöses Leben. Mysterien der Seele gewinnen Gestus an diesen Armen,
vielleicht weil in ihnen noch Gott umgeht, der alles Reiche und Protzige
verlassen hat. Darum ist ihnen allen die andächtige Frömmigkeit ge-
meinsam. Schon diese frühen Bilder Picassos sagen, daß sein Schaffen
von vornherein ein Nach-außen-setzen innerer Erlebnisse war, daß an
dem Leibe alles seinen Sinn hatte aus der formalen Bildung der Vision,
die trotz aller literarisch ablesbaren, sich vordrängenden Umschleierungen
von Anfang an die Hauptsache war. Aber Picasso kannte niemals (wie
etwa Matisse) die Qual, Modell und Erlebnis in Einklang zu bringen. Er
konnte sich eine Welt schaffen, die gleich weit von der Banalität des nur
Realen und dem im Leeren schwebenden Sentiment entfernt war, eine
Welt, die offenbar darum restlos ausdrückte, was sie sollte, weil sie ge-
schaffen war und nicht abstrahiert von einem Natur gegenstand, verdünnt
zu einem Ornament.
Der Umfang und die Kraft seiner Innerlichkeit offenbart sich in dem
Maße, in dem er jeden Punkt des Körpers, die ganze Bildfläche mit der
gleichen Empfindung hat durchdringen können. Man sagt von der frühen
Zeichnung Picassos nichts, wenn man von einer abstrakten Linie spricht.
Vielmehr vibriert — ganz im Gegensatz zu der kalten Leerheit einer ab-
strakten Linie — kondensiertes, pulsierendes Leben in dem großzügigen