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Reichel, Wolfgang
Über vorhellenische Götterculte — Wien, 1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.14442#0082
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Wer das A. T. aus diesem Gesichtspunkte tiberblickt, der findet
auf Schritt und Tritt die Zeugnisse des immer neu aufflackernden
Streites zwischen Priesterschaft und Volk um das genannte Princip.
Es kann kaum fraglich sein, dass die Juden bereits vor ihrer Sess-
haftigkeit eine vollkommen ausgebildete anthropomorphe Vorstellung
von ihrem Gotte besaßen. In der That unterschied sich Jahwe
darin gar nicht wesentlich von irgend einem Stammesgotte der „achaei-
schen" Griechen. Oder wie B. Stade 1. c. I. p. 431 sagt: „Jahwe
erscheint dem alten Israeliten wie dem alten Griechen sinnlich wahr-
nehmbar und räumlich beschränkt in Gestalt eines Menschen." In
diesem Stadium der Anschauung lag aber der Schritt zum Bilder-
dienst sehr nahe, und es hat wirklich an den charakteristischen
Ansätzen dazu nicht gefehlt. Ich meine damit nicht sowohl die
während der ganzen jüdischen Geschichte so häufigen Abkehrungen
zum „Götzendienst", (d. h. zu den Göttern der Nachbarvölker, deren
Verehrung mit sinnlicher Anschauung verbunden war), dem sogar das
davidische Königshaus rasch genug dauernd anheimfiel; obwohl sich
auch diese Abfälle im Grunde aus diesem nämlichen Volksbediirfnisse
erklären, das sich nach auswTärts wandte, weil es daheim seine Befrie-
digimg nicht finden konnte. Mehr noch habe ich Vorfälle im Auge, wie
z. B. die merkwürdige Geschichte des Micha in der Richterzeit, mit
seinem goldenen Gottesbild — das zweifellos eine Jahwefigur war
— dem er einen Leviten als Priester dang und das dann ausgesprochenes
Cultbild für die Daniten wTurde (Picht, 17 und 18). Dieser Vorfall
wäre charakteristisch genug, selbst wenn er vereinzelt geblieben wäre,
aber er blieb nicht vereinzelt. Der Propheten Eifer erhebt sich immer
neu nicht nur gegen die „fremden Götter", nicht nur für die Einheit
der Cultusstätte, sondern auch bei denen, die auf diese letztere Einheit
noch gar nicht dringen und die Vielheit der alten Cultusstätten
dulden, gegen die „Verunreinigung" dieser Stätten mit Bildern, mit
Jahwebildern. So prophezeit u. a. Jesaias 30, 22 von der kom-
menden Zeit der Gerechtigkeit und Gottesfurcht: „dann wTerdet ihr
den Überzug eurer goldenen Gussbilder verunehren, verabscheuen w7ie
Unflath; hinaus! wxrdet ihr dazu sagen." Also nicht nur in Privat-
heiligthtimern, an den öffentlichen Cultstätten ■— den salomonischen
Tempel nicht ausgenommen — hatten sich „Idole" bereits eingedrängt.
 
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