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Albert, Peter P.; Beyerle, Konrad [Hrsg.]
Die Kultur der Abtei Reichenau: Erinnerungsschrift zur zwölfhundertsten Wiederkehr des Gründungsjahres des Inselklosters 724-1924 (1. Halbband) — München: Verlag der Muenchner Drucke, 1925

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Vorgeschichte und Klostergründung
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Brandi, Karl: Die Gründung der Abtei Reichenau
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https://doi.org/10.11588/diglit.61010#0042
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K. Brandt

am Bodensee vorfand, endlich aus den viel-
fach plumpen Fälschungen jüngerer Jahrhunderte
gerade deshalb echte Kerne zurückzugewmnen,
weil ihre Mache angesichts der großen Zahl dieser
Fälschungen vollkommen zu durchschauen und das
Echte vom Unechten leichter als in vielen anderen
berühmten Einzelfällen zu sondern war. Es wird
sich ergeben, welche Dienste bei dieser Kritik die
Sprachforschung, die Diplomatik, allgemein die
Beachtung auch des scheinbar Nebensächlichen
geleistet haben.
Folgen wir zunächst den erzählenden Quellen zur
Gründungsgeschichte. Die auf ältere Annalen
zurückgehende Chronik Hermanns des Lahmen
aus dem 11. Jahrhundert berichtet zum Jahre 722,
daß Karl Martell Alemanmen und Bayern unter-
warf; zum Jahre 724, daß der hl. Abt und Bischof
Pirmimus von den Stammesfürsten Berthold und
Nebi zu Karl geführt sei und von diesem die Insel
Reichenau erhalten, wildes Getier von dort ent-
fernt und ein Kloster gegründet habe; endlich zum
Jahre 727, daß Pirmin von Herzog Gottfrieds
Sohn Theobald aus Haß gegen Karl wieder ver-
drängt wurde, nachdem er den Hetto zum Nach-
folger bestellt hatte.
In der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts wußte
der Reichenauer Abt Walafnd Strabo offenbar
auch nicht mehr als diese dürftigen Tatsachen, so-
wie daß Pirminius in dem lothringischen Kloster
Hornbach begraben sei. Auch die um 826 ge-
schriebenen Eintragungen im Reichenauer Ver-
brüderungsbuch kennen an der Spitze der verstor-
benen Reichenauer Brüder den , Bischof Pirminius
sowie an der Spitze der ersten Gönner des Klo-
sters den Hausmeier Karl (Martell) und seine
Söhne König Pippin und Karlmann. Um die
Wende vom 9. zum 10. Jahrhundert schrieb man
in der Reichenau das Leben des heiligen Megin-
hard; darin wird der alte Name der Insel Sint-
leozesaugia genannt nach einem Priester Smd-
leoz, der vor Pirmin dort eine Mönchzelle gegrün-

det und den heiligen Pirmin mit seinen Genossen
herbeigeholt habe, und zwar auf Veranlassung des
edlen Alemannen Perachtold, angeblich zur Zeit
König Pippins. Da Pirmin schon 727 von dem
Merowinger Theoderich IV. das Gründungsprivi-
leg für Murbach erhielt, ist die letzte Zeitangabe
zugunsten der früheren zu verwerfen. Im übrigen
stimmen also diese alten guten Quellen des ersten
Jahrhunderts nach der Klostergründung darin
überein, daß Pirminius im Jahre 724 unter Mit-
wirkung alemannischer Großen und des Haus-
meiers Karl Martell auf der bis dahin Sint-
1 e o z e s a u genannten Insel ein Kloster gründete,
ihm drei Jahre vorstand und dann doch wohl als
Opfer einer neuen Erhebung gegen die Franken
wieder verdrängt worden ist.
WER WAR DIESER PIRMINIUS?
An seiner letzten Wirkungsstätte Hornbach gab
es schon im frühen 9. Jahrhundert eine erste Bio-
graphie, die aber von der Gründung der Reichenau
so wenig wie von den dortigen Verhältnissen irgend
etwas Nennenswertes zu berichten wußte, nur daß
auch sie den Namen Smtlas kennt und für Pir-
min die Zeit des merowingischen Königs Theo-
derich (IV.). Die jüngeren Hornbacher Auf-
zeichnungen (des 11. Jahrhunderts) sind für un-
sere Zwecke vollends wertlos. Dasselbe gilt von
der metrischen Bearbeitung dieser Biographie und
von der ersten halbwegs selbständigen, aber ganz
jungen Reichenauer Geschichte Pirmins aus der
Feder des Abtes Heinrich von Karpfen (1206
bis 1234).
Die, hundert Jahre nach Pirmins Tode durch Hra-
banus Maurus von Fulda verfaßte Grabschriftweiß
noch, daß der Missionar und Klostergründer aus
der Fremde zu den Franken und dann zu den Ale-
mannen gekommen sei. ,Er verließ seine Heimat,
Volk und Sippe um der Pilgerschaft willen, kam
zu den Franken und gründete viele heilige Stätten.
Pirmin war also weder Alemanne noch Franke.
 
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