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Albert, Peter P.; Beyerle, Konrad [Editor]
Die Kultur der Abtei Reichenau: Erinnerungsschrift zur zwölfhundertsten Wiederkehr des Gründungsjahres des Inselklosters 724-1924 (1. Halbband) — München: Verlag der Muenchner Drucke, 1925

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Vorgeschichte und Klostergründung
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Brandi, Karl: Die Gründung der Abtei Reichenau
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https://doi.org/10.11588/diglit.61010#0043
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Die Gründung der Abtei Reichenau

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Am nächsten lag stets, ihn für einen Iren zu hal-
ten; allein der Name ist ganz unirisch; auch feh-
len alle sonstigen Anhaltspunkte dafür; ja die an-
scheinend frühe Annahme der Benediktinerregel
scheint geradezu dagegen zu sprechen. So sind
andere, wie Hauck, zu der Annahme gekommen,
Pirmin sei Angelsachse gewesen; er hätte dann zu
den frühesten angelsächsischen Glaubensboten ge-
hört, die in Deutschland, und zwar in Anlehnung
an die Karolinger, missionierten. Indessen auch
hier steht der gar nicht angelsächsische Name im
Wege. So hat man eine dritte Spur verfolgt, die
nach der spanischen Halbinsel weist und
der P. Gall Jecker in dem folgenden Beitrag zu
diesem Buche sorgfältiger nachgehen wird.
Wir besitzen nämlich in einer Einsiedler-Hand-
schrift, wohl noch des 8. Jahrhunderts, eine pre-
digtartige Unterweisungsschrift zur Belehrung des
zwar schon bekehrten, aber offenbar noch mit un-
gezählten Fäden am heidnischen Wesen hängen-
den Volkes. Diese Dieta Abbatis Pirmimi
sind nicht nur ehrwürdig durch ihr Alter, sondern
durchaus von jener Art, die man nur mit der tief-
sten Bewegung zu lesen vermag. Denn wir ver-
nehmen daraus jene einfachen, aber unendlich ein-
dringlichen Worte und Gedanken, durch die un-
seren Vorfahren zuerst aus heißem Eifer und
brüderlicher Liebe das Wesen des Christentums
nahegebracht worden ist. Diese Schrift benützt
zumal im Anfang em weit verbreitetes Hilfs-
mittel, die sogenannte Bauernpredigt des Bischofs
Martin von Braga im jetzigen Portugal; geht dann
freilich weiterhin ihre eigenen Wege. Der Ton
ist — wir werden davon bald mehr hören —
werbend, eifrig und doch gütig und lehrhaft. Es
wechseln leidenschaftliche Ermahnungen mit Bit-
ten und Bekenntnissen des Predigers, Beleh-
rungen mit Sündenregistern und Anklagen gegen
die Heiden. Wiederholungen sind nicht ge-
spart; die wichtigsten Formulierungen der christ-
lichen Glaubens- und Sittengesetze sind m die

anschauliche, lebendige Form der Erzählung ein-
gestreut. So die Zehn Gebote, das Gebet des
Herrn, die Taufgelöbnisse und das Apostolische
Glaubensbekenntnis. Das Ganze hat etwas Typi-
sches; auch die ausführliche Aufzählung aller
möglichen noch im Schwange befindlichen heid-
nischen Bräuche ist Gemeingut der ganzen Mis-
sionsliteratur dieser Jahrhunderte.
.Geliebte, weichet vom Bösen und tuet das
Gute! Ziehet einen neuen Menschen an! Ich be-
schwöre Euch, Ihr Brüder, verzweifelt nie an der
großen Gnade Gottes! Denn so, Geliebte, steht
es im Evangelium: ,Ich will nicht den Tod des
Sünders*, und .Wachet und betet, Ihr wisset
nicht Tag und Stunde!* Gebt Almosen, fastet,
betet, bleibet rein und friedfertig, auf daß Ihr
einst die Worte höret: Vemte benedicti!*
.Lasset uns eilen, Ihr Brüder, Buße zu tun mit
Hilfe unseres Herrn Jesus Christus, der mit dem
Vater und dem Heiligen Geiste lebet und regieret
von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
Das war der gedrängte und doch unendlich reiche
Inhalt dieser frohen Botschaft, die zugleich alle
menschliche Kultur der Ehrfurcht, Mäßigkeit,
Gerechtigkeit und Güte in sich schloß. So wer-
den sie gerungen haben um die harten, vielfach
gewiß starren und leeren Herzen dieser aleman-
nischen Bauern und Edelinge; so werden sie auch
gemahnt und gestraft, gezürnt und gescholten ha-
ben mit den Schwachen und Rückfälligen, den
Harten und Bösen. Pirmmius als em Führer und
Meister eines gewiß noch kleinen Kreises von
Genossen.
Indessen diese Gottesleute und Glaubensboten, die
im Jahre 724 das Werk der Christianisierung zu
vollenden kamen und auf der sonnigen Insel des
Untersees Wohnung nahmen, waren auch darauf
bedacht, eine bleibende Stätte des Gottesdienstes
und des gottgefälligen Lebens für ihresgleichen zu
begründen. Sie kannten die längst im Frankenreich
 
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