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Albert, Peter P.; Beyerle, Konrad [Hrsg.]
Die Kultur der Abtei Reichenau: Erinnerungsschrift zur zwölfhundertsten Wiederkehr des Gründungsjahres des Inselklosters 724-1924 (1. Halbband) — München: Verlag der Muenchner Drucke, 1925

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Vorgeschichte und Klostergründung
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Brandi, Karl: Die Gründung der Abtei Reichenau
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https://doi.org/10.11588/diglit.61010#0040
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DIE GRÜNDUNG DER ABTEI REICHENAU
PROFESSOR DR. KARL BRAN DI/GOTTINGEN

AUS FRÄNKISCHEN, OSTGO-
tischen und byzantinischen Geschichtsquel-
len, aus Inschriften und Konzilsakten können wir
uns ein einigermaßen sicheres Bild machen von
den kirchlichen und politischen Verhältnissen
der Lande um den Bodensee im 6. und 7. Jahr-
hundert. Das Heidentum der Alemannen er-
scheint noch kräftig trotz der romanisch-christlichen
Bevölkerungsreste unter ihnen und der fränkisch-
christlichen Herrschaft über ihnen. Zwar die alten
provinzialen Bistümer mußten nach veränderten
Macht- und Siedlungsverhältnissen neu begründet
oder verlegt werden, von Augst nach Basel, von
Windisch nach Konstanz; aber sie erhielten doch
die Tradition des bischöflichen Amts und des
kirchlichen Zusammenhangs. Ja, man hat Grund
anzunehmen, daß sich die christliche Kultur bald
verstärkte durch die Verwaltung von fränkischem
Königsgut und durch die Einwanderung fränkischer
Bauern, deren Spuren der hl. Martin als Kirchen-
patron erkennen läßt. Auch die Herzöge und
Grafen der fränkischen Zeit waren wohl schon
Christen; em Zusammenwirken der königlichen
Gewalt mit der kirchlichen war also möglieh.
Vielleicht wurde unter Mitwirkung des Königs
schon im späten 7. Jahrhundert die Grenze des
Bistums Konstanz gegen Augsburg im Osten und
Straßburg im Nordwesten neu festgelegt.
Kem Wunder, daß unter solchen Umständen die
von den Iren begonnene Mission m einem neuen
Geiste und mit besseren Aussichten fortgeführt
wurde. Die Heiligen Columban, Gallus und
Fridolin hatten noch indem alten Stil missioniert,
wie einst ihre Landsleute bei den Briten und
Angelsachsen. Seit den Karolingern kommt em
neuer Zusammenhang und eine neue Kraft auch
in diese Bewegung. Nicht nur, daß nunmehr
in der Hauptsache Franken und Angelsachsen
die Mission der alten Iroschotten ablösten; beide
brachten ein stärkeres Gefühl für Organisation

mit, und wenn nicht alles täuscht, setzten sie zu-
sammen mit dem karolingischen Hause frühzeitig
Kirchen- und Klostergründung bewußt in eine
engere Verbindung mit Königsgut und Königs-
schutz. Man hat in übertriebenerWeise dasWesen
schon des altfränkischen Staates sehen wollen in
der planvollen Ausscheidung von Königsgut unter
immer neuen Titeln, insbesondere auch als Kir-
chen- und Klostergut. Sicher wurde auch nach
Alemannien das fränkische Verfahren übertragen,
Gemeindeland scharf gegen Königsland ab-
zusetzen; schon alte sanktgallische Formulare
kennen Anweisungen dazu. Ebenso sicher ist
auch, daß die Karolinger zunehmend die Mission
und Kirchengründung ihrer Machtpolitik einord-
neten. Unter ihnen begann jene innige Verbindung
von Königtum und kirchlicher Organisation, die
in der Sonderstellung der kirchlichen Personen
wie des kirchlichen und klösterlichen Grund-
besitzes ebenso liebevoll für die Diener Gottes
sorgte, wie für die Machtstellung des Königtums.
Denn wie in Italien wirkte seit dieser Zeit das
fränkische, bald einheitlich benediktinisch-herr-
schaftliche Klosterwesen zugleich als eine Form
königlich fränkischer Machtausbreitung. Der eigen-
tümliche Gedanke des eben damals aufsteigenden
Lehnswesens, die Getreuen des Königs durch Aus-
stattung mit Gut und nutzbaren Rechten an den
König und den Königsdienst zu ketten, ergriff mit
der Kraft einer alles erfüllenden Idee auch die
Kleriker und Mönche. Es war, als ob der Staats-
gedanke, der sich zum Teil in den Rechtsbegriff
der Kirche umgesetzt hatte, aus der Asche des
alten Reiches in märchenhafter Form Leben ge-
wänne, Römisches und Germanisches zu der neuen
Bindung des Lehnswesens m sich verschmelzend.
Diese Sicherung und Erstarkung der Kirchen in
Anlehnung an die weltliche Macht und des König-
tums in Anlehnung an seine geistlichen und welt-
lichen Getreuen wurde um so wichtiger, als wäh-
 
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